Ameisen und parasitäre Bandwürmer

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Ameisen und parasitäre Bandwürmer

Beitragvon Reber » Mittwoch 18. November 2015, 17:21

Beiträge aus dem Bereich "Neue wissenschaftliche Erkenntnisse" hier zusammengeführt. (Reber)

Forscher der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) haben einen Bandwurm untersucht und erstaunliches herausgefunden: Der Parasit beeinflusst nicht nur die direkt befallenen Ameisen (Temnothorax nylanderi) in Aussehen und Verhalten, sondern bewirkt zusätzlich Verhaltensänderungen bei nicht infizierten Nestgenossen!

So geht das Aggressionsverhalten einer Ameisenkolonie zurück, wenn sich in dem Nest parasitierte Tiere befinden. Die Untersuchungen der Mainzer Evolutionsbiologen um Univ.-Prof. Dr. Susanne Foitzik dienen dazu, den Einfluss der Parasiten auf Sozialstaaten zu erforschen und herauszufinden, wie genau Parasiten ihren Wirt manipulieren, um selbst besser zu überleben. Die neuen Forschungsergebnisse wurden in der renommierten Fachzeitschrift Proceedings of the Royal Society B veröffentlicht.


Hier gibts mehr:
https://idw-online.de/de/news641760


Fotos:
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Braune, gesunde und gelbe, infizierte Ameise der Art Temnothorax nylanderi
Foto/©: Susanne Foitzik


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Eine gelbe, von dem Bandwurm Anomotaenia brevis infizierte Ameise
Foto/©: Susanne Foitzik


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Braune, gesunde und gelbe, infizierte Ameise (oben) sowie der Bandwurm Anomotaenia brevis in seinem Larvenstadium, wie es in der Ameise vorkommt (unten)
Foto/©: Susanne Foitzik
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Re: Ameisen: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse

Beitragvon Merkur » Mittwoch 18. November 2015, 20:03

Hallo Reber,

Danke für den Link!
Ein dazu gehöriger Bericht vom Juni 2015: „Vom Parasiten zum Puppenspieler“. http://www.magazin.uni-mainz.de/3783_DEU_HTML.php

Es ist immer wieder schön zu erleben, wenn auf frühere, eigenen Forschungen aufbauend weitere Erkenntnisse erarbeitet werden.
Die Ursache für die auffällige Gelbverfärbung von Temnothorax-Arbeiterinnen, der Befall mit Bandwurmfinnen, war von Luc Plateaux entdeckt worden.
Weitere Bearbeitung erfolgte u.a. durch mich und meine Arbeitsgruppe, so der Befund, dass in Leptothorax und seinen Sozialparasiten (Harpagoxenus) eine andere Cestoden-Gattung (Choanotaenia) lebt,und dass befallene Individuen bis zu sieben Jahre überleben (ASa).
Im AWiki hatte ich die wesentlichen Erkenntnisse eingetragen: http://www.ameisenwiki.de/index.php/Cestoda (siehe v. a. meine Bilder von den Finnen!)

Neu ist die Beobachtung, dass auch das Verhalten der nicht infizierten Tiere in einem Nest beeinflusst wird, ferner wurden anscheinend Untersuchungen zur Genexpression in befallenen und gesunden Tieren angestellt.

Hier ist bereits ein dpa-Bericht im Hamburger Abendblatt, http://www.abendblatt.de/ratgeber/wisse ... onien.html
Leider: „Sie leben im Totholz des Waldes in natürlichen Hohlräumen, etwa in Eichen.“ – Da sind die Eicheln schon zu Bäumen herangewachsen. :D
Und dass „Spechte“ die Endwirte der Bandwürmer sein sollen, ist m.W. auch noch nicht erwiesen.

Ich hoffe, in Kürze weitere Details mitteilen zu können. Gelegentlich wurden in den Ameisenforen bereits Fragen nach solchen „gelben“ Ameisen gestellt, die ich natürlich beantwortet habe. ;)

Edit 19.11.: Die Originalarbeit kann hier eingesehen/ heruntergeladen werden: http://rspb.royalsocietypublishing.org/ ... 9/20151473
Beros S, Jongepier E, Hagemeier F, Foitzik S. 2015 The parasite’s long arm: a tapeworm parasite induces behavioural changes in uninfected group
members of its social host. Proc. R. Soc. B 282: 20151473.

MfG,
Merkur

Edit: Literatur
Buschinger, A. 1973: Ameisen der Tribus Leptothoracini (Hym., Formicidae) als Zwischenwirte von Cestoden. Zool. Anz. 191, 369-380, 1973

Buschinger, A. 1989: Bandwurmfinnen in Ameisen. Die Waldameise 2, 45-48.

Péru, L., Plateaux, L., Buschinger, A., Douwes, P., Perramon, A., Quentin, J.C. 1990: New records of Leptothorax ants with cysticercoids of the cestode, Choanotaenia unicoronata, and the rearing of the tapeworm in quails. - Spixiana 13, 223-225.

J. HEINZE,1,2 O. RÜPPELL,2 S. FOITZIK1,2 AND A. BUSCHINGER3 (1998): FIRST RECORDS OF LEPTOTHORAX RUGATULUS (HYMENOPTERA: FORMICIDAE) WITH CYSTICERCOIDS OF TAPEWORMS (CESTODA: DILEPIDIDAE) FROM THE SOUTHWESTERN UNITED STATES
1Zoologie I, Universität Erlangen-Nürnberg, Staudtstr. 5 D-91058 Erlangen, Germany
2LS Verhaltensphysiologie und Soziobiologie, Biozentrum, Universität Würzburg, D-97074 Würzburg, Germany
3Zoologisches Institut, TH Darmstadt, Schnittspahnstr. 3, D-64287 Darmstadt, Germany
- (L. rugatulus heißt heute Temnothorax rugatulus) -
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Re: Ameisen: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse

Beitragvon Merkur » Donnerstag 19. November 2015, 16:28

Von meiner Arbeit 1973 über Bandwurmfinnen in Ameisen scheint es keine online-Version zu geben. Ich selbst besitze nur noch eine Xerokopie, aus der ich hier die erste Seite und die Seite mit Zusammenfassung / Summary einkopiere.

Buschinger-1973-Ameisen-und.jpg
Buschinger 1973 Ameisen und Cestoden

Falls sich jemand dafür näher interessiert: Ich kann gerne auch die restlichen Seiten kopieren.
ACHTUNG: Zu dieser Zeit habe ich noch „das“ Tribus und „der“ Gaster geschrieben. Weder Herausgeber noch Leser haben je daran Anstoß genommen; es war so üblich. Erst ein paar Jahre später habe ich von einem Altphilologen gelernt, dass es „die“ Tribus und „die“ Gaster heißen muss.
Was damals noch als "Interkasten" bezeichnet wurde, habe ich später in "Intermorphe" umgetauft, da es sich nur um morphologische Zwischenformen handelt, während alle Formen, Gynomorphe, Intermorphe und Ergatomorphe, prinzipiell der reproduktiven Kaste (Königin, begattet, Eier legend) oder der +/- sterilen Kaste (Arbeiterin, unbegattet, selten :m: -Eier legend) angehören können.
Die Tribus heißt inzwischen Formicoxenini, falls diese Kategorie nicht ohnehin modernen „lumping“-Tendenzen zum Opfer fällt.

MfG,
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Re: Ameisen: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse

Beitragvon Reber » Montag 23. November 2015, 11:23

Hier ginb es noch ein Video einer Temnothorax nylanderi Kolonie, die vom Bandwurm Anomotaenia brevis befallen ist.
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Re: Ameisen: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse

Beitragvon ratti » Montag 23. November 2015, 16:06

Danke für das Video.
Hab auf die schnelle keinen Diskussionsthread dazu gefunden, deswegen jetzt hier :
Temnothorax nylanderi ist ja monogyn, trotzdem sind mindestens 6 Gynen zu sehen (2 nicht infizierte und mindestens 4 infizierte). Sind das einfach wieder aufgenommene Junggynen, die Arbeiterinnenfunktionen erfüllen, aber nicht begattet sind? Wie wirkt sich der Befall mit dem Parasiten auf die Fähigkeit der ursprünglichen Gyne aus, Nachkommen zu produzieren?
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Re: Ameisen: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse

Beitragvon Merkur » Montag 23. November 2015, 17:54

Hallo ratti,

Die infizierten Gynen sind nach meinen Untersuchungen (Sezieren von gelben Gynen verschiedener Arten von Temnothorax und Leptothorax) niemals begattet. Sie scheinen einfach nicht zu schwärmen.
Normal gefärbte Gynen bleiben oft im Herbst in den Nestern (T. nylanderi schwärmt recht spät), entflügeln sich da, "verschwinden" aber im Lauf des Frühjahrs. Gelegentlich kommt es zu Kolonieverschmelzungen und zum Ersatz einer Gyne durch eine andere. Dem Video ist leider nicht zu entnehmen, zu welcher Jahreszeit es aufgenommen wurde, ob es eine neu gesammelte Kolonie zeigt oder eine, die bereits länger in Haltung war usw..

EDIT 24.11.: Der Film zeigt leider nur wenig vom Leben des Bandwurms, und das auch noch sehr unscharf. Weit aus bessere Bilder von infizierten (gelben) Temnothorax nylanderi gibt es hier: http://www.myrmecofourmis.fr/Le-tenia-q ... es-fourmis
Le ténia qui rend les fourmis jaunes – Der Bandwurm, der die Ameisen gelb werden lässt.
Besonders auf dem 2.Farbbild kann man kleine gelbe Arbeiterinnen erkennen (kleiner als die normal gefärbten gesunden Arbeiterinnen) sowie deutlich größere gelbe Intermorphe (im Text als „intercastes“ bezeichnet) bis hin zu Gynen (mit Resten abgebrochener Flügel).

MfG,
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Re: Ameisen: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse

Beitragvon Merkur » Freitag 27. November 2015, 17:03

Um diesen Thread über Bandwurmfinnen in Ameisen zu einem Ende zu bringen:

Es gibt noch einiges über unsere diversen Arbeiten auf diesem Gebiet zu berichten. Ich habe immer dann, wenn mir ein paar befallene Völkchen in die Hände fielen, etwas damit experimentiert. Für ein DFG-Projekt war mir die Fundhäufigkeit zu gering. Beros et al. (2015) haben ein sehr reiches Vorkommen entdeckt, das die Planung und Durchführung einer umfangreicheren Studie ermöglichte, siehe oben, viewtopic.php?f=23&t=367&p=9789#p9766 ).

Für mich eine große Frage war die Verbreitung, der zwei Bandwurm-Arten, und in welchen Endwirten sie vorkommen. Beides ist nach wie vor unklar.
Weshalb kommt Choanotaenia unicoronata in den Alpen vor, als Finne nur in Leptothorax spp. und in deren Sklavenhalter Harpagoxenus sublaevis, nicht aber im Nürnberger Reichswald, wo wir mehrere Tausend Völkchen dieser Gattung gesammelt oder auf der Suche nach Harpagoxenus inspiziert haben?
Weshalb wurde Anomotaenia brevis von Frankreich bis ins Mittelrheingebiet und, sehr selten, bis zum Untermain, in Temnothorax spp. gefunden, nicht aber weiter östlich, etwa in der Umgebung von Würzburg, die ebenfalls sehr intensiv besammelt wurde?
Die Frage, ob es Vogelarten gibt, die in dieses Verbreitungsmuster passen (also etwa nur im Gebiet der A. brevis vorkommen, oder nur im alpinen Gebet der C. unicoronata) konnte mir auch von Ornithologen nicht beantwortet werden.

Was sind die Vogelarten, die als Endwirte in Frage kommen?
Ein nettes Beispiel (ich glaube, ich habe darüber mal im AF berichtet):
Damals (vor einem Umbau des Instituts) verflogen sich im März und Oktober regelmäßig Kohlmeisen bzw. ein paar Blaumeisen durch „gekippte“ Oberlichter in die Flure des Instituts, bevorzugt an Wochenenden. Ich habe sie seinerzeit immer eingefangen und ins Freie befördert.
Zehn solche Meisen habe ich kurzfristig gekäfigt und Kotproben untersucht: Tatsächlich waren acht von zehn der Tiere infiziert! (Damit war es natürlich aussichtslos, „gelbe“ Ameisen an solche Vögel zu verfüttern um zu sehen, ob später passende Bandwurmeier oder -glieder in ihrem Kot auftauchen!)
Im Kot der frisch gefangenen Meisen fanden sich ganze, umher kriechende Bandwurmglieder (Proglottiden) sowie Teile des Bandwurm-Uterus, sog. "Eikapseln", die Bandwurmeier enthielten.
Temnothorax nylanderi –Völkchen, trugen begierig diese Bandwurmteile ins Nest und legten sie den Larven auf den Mundbereich (vgl. http://ameisenwiki.de/index.php/Ern%C3% ... von_Larven )
Doch tags darauf sah ich unter dem Präpariermikroskop, dass die Bandwurmteile verzehrt worden waren, aber auf dem Abfall lagen unversehrt die Bandwurmeier! Die hätten von den Ameisenlarven geschluckt werden müssen. – Die Vermutung liegt nahe, dass die Bandwürmer in Kohl- und Blaumeise zu anderen Bandwurm-Arten gehören und nicht Temnothorax-Arten als Zwischenwirte nutzen, sondern irgendwelche anderen Insekten bzw. Arthropoden.

Der Versuch, eine Genehmigung zur kurzzeitigen Haltung von Klein- oder Mittelspecht zu bekommen (für Kotproben), scheiterte daran, dass die Naturschutzbehörde das untersagt hat. So ist also noch immer offen, wer als Endwirt für die Bandwürmer dient. (Peru et al. 1990 haben "gelbe" T. nylanderi an Wachtelküken verfüttert, wonach in deren Darm Bandwürmer heranwuchsen. Dasgelang jedoch nur bei Fütterung der Küken mit einem speziellen Weichfresser-Futter. Wachteln gehören somit sicher nicht zum natürlichen Wirtsspektrum der Bandwürmer).

Auch zum Jahreszyklus kann man bisher nur spekulieren: Eigentlich sollte ein gut angepasster Bandwurm im Winter eine Ruhephase einlegen und seinen Vogelwirt möglichst wenig belasten. In der kalten Zeit abgegebene Bandwurmeier werden ja nicht an Ameisenlarven verfüttert, und ein Vogel käme besser durch die schlechte Jahreszeit, wenn der Bandwurm nicht auch noch an dem kargen Futter partizipieren würde. Aber: Unsere Meisen haben zumindest im Oktober und im März Bandwurmeier abgegeben.

„Gelbe“ Ameisen mit Bandwurmfinnen wurden nicht nur in Europa gefunden, sondern auch in Nordamerika:

Stuart, R. J., and T.M. Alloway, (1988): Aberrant yellow ants: North American Leptothorax species as intermediate hosts of Cestodes, pp. 537-545 in J. C. Trager (ed.), Advances in Myrmecology. E. J. Brill,Leiden.
Die Wirtsarten waren in Québec Leptothorax “muscorum” (eine der mehreren Arten in Nordamerika aus diesem Komplex) und Temnothorax curvispinosus (eine der „acorn ants“) in Illinois, Michigan und Ohio. Vermutlich handelt es sich dabei auch um Bandwürmer der Gattungen Choanotaenia und Anomotaenia, aberwahrscheinlich nicht um dieselben beiden Arten wie in Europa.

Heinze, J., Rüppell, O., Foitzik, S., Buschinger, A. (1998): First records of Leptothorax rugatulus (Hymenoptera: Formicidae) with cysticeroids of tapeworms (Cestoda: Dilepididae) from the Southwestern United States. - Florida Entomologist 81, 122-125.
Es handelt sich um Temnothorax rugatulus, und um eine Bandwurmart, die der europäischen Anomotaenia nahe steht.

Ergänzend ist zu sagen, dass als Endwirte für Anomotaenia brevis in Europa zwei Spechtarten, Dendrocopos major und D. minor (Buntspecht und Kleinspecht) bisher nur vermutet werden, jedoch nicht bestätigt sind. Das hat mir auch Frau Prof. Foitzik am 20.11.2015 per e-mail bestätigt.

So bleiben auch nach der eingangs vorgestellten Arbeit von Beros et al. (2015) doch noch ziemlich viele Fragen offen. Der Forschung gehen die Themen nicht aus! ;)

MfG,
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Re: Ameisen: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse

Beitragvon LynnLectis » Freitag 27. November 2015, 19:02

Merkur hat geschrieben:Weshalb kommt Choanotaenia unicoronata in den Alpen vor, als Finne nur in Leptothorax spp. und in deren Sklavenhalter Harpagoxenus sublaevis, nicht aber im Nürnberger Reichswald, wo wir mehrere Tausend Völkchen dieser Gattung gesammelt oder auf der Suche nach Harpagoxenus inspiziert haben?
Merkur


Das würde mich jetzt auch näher interessieren, Merkur. Die Alpen haben schon ganz andere Wetterverhältnisse. Auch der Pflanzenwuchs unterscheidet sich vom Mittelland nach meinem Empfinden. Vielleicht haben die alpinen Verhältnisse eine begünstigende Wirkung auf die Choanotaenia unicoronata. Es gibt ja auch Pflanzenwuchs, der sich eigentlich erst da im Mittelland zeigt, wenn z. B. eine Kiesgrube der Natur überlassen wird und sich so ganz spezielle Pflanzen, die solche Verhältnisse brauchen, gedeihen. Du weißt da sicher Näheres.
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Re: Ameisen und parasitäre Bandwürmer

Beitragvon Merkur » Freitag 6. April 2018, 10:21

Im ACafé hat ein User ein sehr eindrucksvolles Bild von Temnothorax sp. gepostet.
Die Art ist nicht eindeutig erkennbar, aber es sieht nach T. nylanderi oder T. crassispinus aus, nicht nach einer Leptothorax sp..
Drei Arbeiterinnen und eine Gyne sind auffallend gelb gefärbt, ein Indiz dafür, dass diese Tiere Cysticercoide (Finnen) eines Bandwurms tragen.
In der Diskussion wird das auch angenommen, doch scheint es einige Unklarheiten zu geben.
Eine jüngere Arbeit aus Mainz wird verlinkt: „Der lange Arm des Parasiten: Bandwurm manipuliert Ameisenkolonie“ (Pressemitteilung der Uni Mainz sowie ein Zeitschriftenartikel dazu).
Außer in diesem Thread hier finden sich auch Informationen im Ameisenwiki:
http://ameisenwiki.de/index.php/Cestoda
http://ameisenwiki.de/index.php/Parasitenbeispiel_3 (mit Literaturangaben)

Es spricht nichts gegen eine Haltung des Völkchens. Keine Gefährdung des Halters, eine Übertragung der Parasiten auf andere Ameisen im Nest oder gar auf andere Arten ist unmöglich. Die infizierten Tiere leben länger als die gesunden. Ich habe solche Völkchen im Zuge meiner Forschung über diese Parasiten über mehrere Jahre gehalten.

Leider findet sich kein Hinweis auf den Fundort. Die Verbreitung der von Bandwurmfinnen befallenen Ameisen ist noch immer nur sehr lückenhaft bekannt.

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Re: Ameisen: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse

Beitragvon Reber » Donnerstag 27. Mai 2021, 16:02

Parasiten, die ihrem Wirt zu Luxus und einem langen Leben verhelfen – das gibt es tatsächlich. Jedenfalls bei Ameisen: Forscher der Universität Mainz haben festgestellt, dass Arbeiterinnen der Art Temnothorax nylanderi deutlich älter werden als üblich, wenn sie von den Larven eines Bandwurms befallen sind. Die Tiere könnten dann eine ähnliche Lebensspanne wie Königinnen erreichen, die es auf bis zu 20 Jahre bringen.


https://www.faz.net/aktuell/rhein-main/ ... obal-de-DE
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Re: Ameisen und parasitäre Bandwürmer

Beitragvon Merkur » Donnerstag 27. Mai 2021, 19:48

Zur Originalarbeit:
Extreme lifespan extension in tapeworm-infected ant workers, von Sara Beros, Anna Lenhart, Inon Scharf, Matteo Antoine Negroni, Florian Menzel and Susanne Foitzik.

Der FAZ-Artikel hebt vor allem die lange bekannte verlängerte Lebensdauer der parasitierten („gelben“) Arbeiterinnen hervor, vgl. dazu die früheren Beiträge in diesem Thread.
Hierzu sind sehr exakte Beobachtungen und Protokollierungen in dem Artikel enthalten.
Das wirklich Neue in der Veröffentlichung sind nun Stoffwechsel-Messungen sowie Untersuchungen zur „sozialen Versorgung“ der infizierten Tiere, die zum Teil besser ist als die der Königin.
Eine Schlussfolgerung: Die Untersuchung zeigt, dass ein sozialer Wirt eine extreme Lebensverlängerung erfahren kann, durch eine Bandwurm-Infektion, die es den infizierten Arbeiterinnen ermöglicht, für junge Arbeiterinnen charakteristische Eigenschaften beizubehalten. Können solche Unterschiede indirekt die Lebensdauer verändern, und falls ja, was sind die zugrunde liegenden Mechanismen? Diese Fragen zu untersuchen wird Ziel künftiger Studien sein.
--
(Merkur): Was leider noch immer unbekannt ist: In welchem Wirt (Spechtart, Meisenart, sonstige Vogelart?) leben die Bandwürmer! - Die Ameisen sind ja nur die Zwischenwirte für das Larvenstadium (Cysticercoid), das nach Schlupf aus dem Bandwurm-Ei und Heranwachsen zur doch recht kleinen Larve („Finne“) sich nicht weiter entwickelt, eingekapselt ist, folglich wenig Stoffwechsel hat und kaum Nährstoffe verbraucht. Siehe Bilder hier.

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Re: Ameisen und parasitäre Bandwürmer

Beitragvon Merkur » Freitag 28. Mai 2021, 09:49

Zum Thema "Bandwurm-infizierte Ameisen trägt das "Spektrum" noch dicker auf als die FAZ:
Nun sind Forscher auf einen Bandwurm gestoßen, der Ameisen offenbar sogar guttut: Eine Infektion verlängert das Leben von normalen Arbeiterinnen und ermöglicht es ihnen, so lange zu überleben wie ihre Königin.
.....
Warum die mit dem Bandwurm infizierten Tiere besonders alt wurden, wissen die Forscherinnen und Forscher noch nicht. Sie konnten jedoch beobachten, dass die infizierten Tiere unter anderem mehr Aufmerksamkeit und Pflege von nichtinfizierten Artgenossen erhielten. Zudem verließen infizierte Ameisen das Nest praktisch nie. Vermutlich beeinflusste der Bandwurm das Verhalten seiner Wirte an diesem Punkt zu seinen Gunsten: Damit der Parasit seinen Lebenszyklus vollenden kann, muss er von Spechten gefressen werden, die Ameisennester ausbeuten. Bleiben die Wirtsameisen zu Hause, ist es wahrscheinlicher, dass sie gefressen werden, wenn ein Specht klopft.

Das sind also die alten Erkenntnisse und Hypothesen, die man dem geneigten Leser als Neuigkeiten verkauft! Man kann bei solcher Sekundär- und Tertiär-Literatur nur zur Vorsicht mahnen. Und wo immer möglich, sollte man sich die Originalarbeiten ansehen!

Für biologisch wenig Informierte liest es sich ohnehin, als hätten diese Ameisen Bandwürmer.
Dabei sind in den Ameisen nur Bandwurm-Larven vorhanden. Die sind winzig im Vergleich zu den adulten Bandwürmern im Vogeldarm, die mehrere Zentimeter lang werden.

Btw: Im menschlichen Darm lebende Bandwürmer (Rinder-, Schweine-, Fischbandwurm) werden viele Meter lang, leben viele Jahre, und können sich für den Endwirt (Homo sapiens) sogar positiv auswirken: Ein Mensch mit Bandwurm neigt weniger zu Adipositas, da der Bandwurm in Nahrungskonkurrenz zu seinem Wirt steht!
Hingegen sind die Zwischenwirte, nach denen unsere Bandwürmer benannt sind, kaum beeinträchtigt. Die Bandwurmlarven („Finnen“, Cysticerci) sind klein und bleiben in der Muskulatur eingekapselt recht unauffällig, bis ein Endwirt (Mensch, beim Fischbandwurm auch Hund, Katze) die Finnen mit unzureichend gegartem Fleisch zu sich nimmt.
Die Fleischbeschau schützt uns in der Regel davor, dass so etwas geschieht: Finniges Fleisch wird aussortiert. Fisch isst man nur mancherorts roh.
Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Rinderbandwurm , https://de.wikipedia.org/wiki/Fischbandwurm .

MfG,
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Re: Ameisen und parasitäre Bandwürmer

Beitragvon Merkur » Montag 5. Dezember 2022, 16:30

TV-Interview zu der durch Finnenbefall verlängerten Lebensdauer von Temnothorax-Ameisen

Über die Originalarbeit wurde hier oben bereits berichtet.
Nun wurde die DASW vom Südwestrundfunk in Mainz informiert, dass ein Interview mit Frau Prof. Foitzik von der Uni Mainz online ist. Der Beitrag kann unter
https://www.swrfernsehen.de/landesschau ... n-100.html eingesehen werden (7 min).

Die Thematik der von Bandwurmfinnen befallenen „gelben Ameisen“ haben wir auch in meiner Arbeitsgruppe immer mal wieder angegangen. In der Ameisenschutz aktuell Nr. 3 von 1999 habe ich im Rahmen eines Artikels über „Behinderte Ameisen“ einen Abschnitt „Wenn der Wurm drin ist: Bandwurmfinnen verlängern das Leben“ (S. 62) von einer befallenen Ameise berichtet, die erst nach 7 ½ Jahren das Zeitliche segnete!

Kopie-Beh.Am.jpg
aus ASa 3/1999
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