Sehen Ameisen rotes Licht, oder sind sie rotblind?

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Sehen Ameisen rotes Licht, oder sind sie rotblind?

Beitragvon Merkur » Samstag 18. März 2017, 12:22

Immerwieder kommt das Thema auf. In den Ameisenforen wird darüber oft heiß diskutiert. Wer wenig Ahnung hat, wird durch die widersprüchlichen Meinungen vollends verwirrt. Damit (vielleicht, hoffentlich ;) ) nicht dieselben Argumente wieder und wieder ausgebreitet werden müssen, verlinke
ich hier mal ein paar ältere und neuere Threads zu dem Thema:

http://www.ameisenwiki.de/index.php/Rote_Folie (u. a. zu einer Publikation von 2004, in der angeblich nachgewiesen wurde, dass Lasius niger Rotlicht wahrnimmt, sowie zum Sinn roter Folien zur Abdunkelung der Nester)

https://www.ameisenforum.de/visuelle-wa ... 42323.html (2011, sehr interessante Diskussion, auch mit Befragung externer Fachleute, Leuchtmittelhersteller, Neurophysiologen!)

viewtopic.php?f=21&t=759 (2014: Brauchen Ameisen dunkle Nester? – Hier geht es eher um die Anwendung in der Ameisenhaltung)

https://www.ameisenforum.de/topic55835.html (Sehen Ameisen Infrarot-„Licht“?) (2017)

Die Meinungen differieren von „meine Ameisen sehen rotes Licht“ bis „Kolonien entwickeln sich auch ohne abgedunkeltes Nest ganz normal". (Dass Ameisen Wärmestrahlung / Infrarot wahrnehmen, ist unbestreitbar. Ob man diese als „Licht“ bezeichnen kann, sei dahingestellt).

Ich enthalte mich hier einer erneuten Stellungnahme; sie würde ohnehin im vielstimmigen Chor der User untergehen. Hier geht es mir nur darum, Links zu ein paar der Diskussionen anzuführen. Man muss sich schon selbst durch die Threads wühlen, pro und contra kritisch abwägen, und sich selbst entscheiden, ob man seine Ameisen im hellen Licht hält, in gedämpftem (rotem) Licht, oder in (weitgehender) Dunkelheit.

Nur ein Hinweis:
Alle Ameisen halten in der Natur ihre Brut im dunklen Nest (mit ganz seltenen, kurzfristigen Ausnahmen). Das Furagieren erfolgt in der hellen Außenwelt, falls sie tagaktiv sind. „Nachtaktive“ Arten sind außerhalb der Nester bei meist gedämpftem Licht (Mond, Sterne) unterwegs.

Infrarot-Laser im Einsatz in Ameisennestern:
In 2004 wurde ausführlich über ein Projekt des damaligen Doktoranden Dipl.-Biol. Marcus Stüben (Uni Würzburg) berichtet, u. a. hier: „Biologe gewinnt mit Infrarot-Laser Einblick in Ameisennester“.
Leider ist über die Ergebnisse dieses Projekts im Internet nichts zu finden.
Inzwischen ist Marcus Stüben (seit Feb.2014) als freiberuflicher Naturschutzgutachter tätig: https://www.bio-gutachten.de/

Weitere Links zum Thema sind hier erwünscht!

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Re: Sehen Ameisen rotes Licht, oder sind sie rotblind?

Beitragvon Merkur » Sonntag 19. März 2017, 11:56

Es gibt elektrophysiologische Untersuchungen der spektralen Empfindlichkeit bei Ameisen.

Kurze Suche im Netz liefert:
(1) http://www.sciencedirect.com/science/ar ... 8912001848
Volkan Aksoy & Yilmaz Camlitepe (2012): Behavioural analysis of chromatic and achromatic vision in the ant Formica cunicularia (Hymenoptera: Formicidae). - Vision Research 67, 28-36.
Abstract
Responses of Formica cunicularia foragers to monochromatic light stimuli of 370, 440, 540, 590 and 640 nm were evaluated in different experimental conditions using a Y-maze apparatus and a circular orientation platform. The results showed that foragers responded significantly to all test wavelengths at certain intensities but could only discriminate 370 and 540 nm from alternatives irrespective of intensity changes. Furthermore, they were also capable of discriminating two long wavelengths, 590 and 640 nm, using a photon catch mechanism by their green photoreceptors. Foragers also discriminated stimuli pairs of same wavelengths based only on intensity differences they provide. The overall results show that F. cunicularia foragers have a dichromatic colour vision system based on inputs of two possible photoreceptor types sensitive to UV and green. The results also yielded evidence showing that their visual systems provided foragers a sensitivity also for wavelengths corresponding to blue and red ranges of the spectrum.

Bemerkenswerterweise zeigen die Ergebnisse, dass das visuelle System furagierende Arbeiterinnen für Wellenlängen aus dem blauen und roten Bereiche des Spektrums empfindlich macht, obwohl nur zwei Rezeptortypen (für UV und Grün) vorhanden sind.
In der ”Introduction” werden weitere Untersuchungen an Ameisen referiert, u. a, elektrophysiologische Studien.


(2) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4455814/
Yuri Ogawa, Marcin Falkowski, Ajay Narendra, Jochen Zeil, and Jan M. Hemmi (2015): Three spectrally distinct photoreceptors in diurnal and nocturnal Australian ants. - Proc Biol Sci. 282(1808): 20150673. doi: 10.1098/rspb.2015.0673 PMCID: PMC4455814
(Drei in der spektralen Empfindlichkeit verschiedene Photorezeptoren bei tag- bzw. nachtaktiven australischen Ameisen)

Abstract
Ants are thought to be special among Hymenopterans in having only dichromatic colour vision based on two spectrally distinct photoreceptors. Many ants are highly visual animals, however, and use vision extensively for navigation. We show here that two congeneric day- and night-active Australian ants have three spectrally distinct photoreceptor types, potentially supporting trichromatic colour vision. Electroretinogram recordings show the presence of three spectral sensitivities with peaks (λmax) at 370, 450 and 550 nm in the night-active Myrmecia vindex and peaks at 370, 470 and 510 nm in the day-active Myrmecia croslandi. Intracellular electrophysiology on individual photoreceptors confirmed that the night-active M. vindex has three spectral sensitivities with peaks (λmax) at 370, 430 and 550 nm. A large number of the intracellular recordings in the night-active M. vindex show unusually broad-band spectral sensitivities, suggesting that photoreceptors may be coupled. Spectral measurements at different temporal frequencies revealed that the ultraviolet receptors are comparatively slow. We discuss the adaptive significance and the probability of trichromacy in Myrmecia ants in the context of dim light vision and visual navigation.

Hier wird mit elektrophysiologischen Methoden gezeigt, dass die beiden Myrmecia-Arten drei Empfindlichkeitsmaxima haben, bei 370 bis 550 nm, entsprechend UV, Blau und Grün.

Zur Orientierung füge ich hier eine Darstellung aus Wikipedia bei:
800px-Electromagnetic_spect.jpg
Farbwahrnehmung
https://de.wikipedia.org/wiki/Farbwahrn ... ares_Licht


(3) Eine sehr viel frühere Arbeit nutzt Verhaltensversuche mit Cataglyphis bicolor. Die Arbeit wurde von dem renommierten Physiologen Prof. Rüdiger Wehner betreut. Als Ergebnis wird ein Vierfarbsehen (tetrachromatisches Sehen) diskutiert.
(doi:10.1007/BF00610430)
Kretz, R. J. (1979): A behavioural analysis of colour vision in the ant Cataglyphis bicolor (Formicidae, Hymenoptera). - Journal of comparative physiology 131, 217–233.
Summary
The colour vision of worker ants Cataglyphis bicolor was investigated by means of a colour mixture apparatus (Fig. 1). In freely walking ants the spontaneous phototactic choice behaviour as well as the choice behaviour after previous training to monochromatic or white light stimuli were tested in the spectral range 320≦λ≦ 627 nm. For all wavelengths standard intensities (I0.5) were used that caused equal attractiveness and thus exhibited equal subjective brightness for the ants.
….
(8.) The hypothesis of a tetrachromatic colour vision system in the ant Cataglyphis bicolor is tentatively discussed. Four spectral types of receptors are postulated (R345, R430, r505 and r570) and different possibilities of how to build a yellow receptor (R570) are considered. A hypothetical chromaticity diagram is proposed (Fig. 17).

Es wurden also vier Rezeptoren postuliert, bei 345 nm (UV), 430 (Violett), 505 (Grün) und 570 nm (Gelb). Kein Rot!

Es ist also keinesfalls so, dass man für Ameisen verallgemeinernd von Rotblindheit sprechen kann. Ein solches schwarz-weiß-Denken ist in jedem Fall verfehlt (es geht ja auch um Farbwahrnehmung :D ).
Es ist auch verfehlt, anzunehmen, dass rotes Licht für die Ameisen absolute Dunkelheit bedeutet. Auch ein rotblinder Mensch nimmt unterschiedlich helles Rotlicht als unterschiedlich helle Graustufen wahr. Entscheidend ist die Lichthelligkeit.
Damit sind wir wieder bei der von mir stets vertretenen Formulierung, wonach diverse rote Folien auf (vor) Ameisennestern einen Kompromiss darstellen: Für die Ameisen ist es dunkler als ohne die Folien, für den Betrachter lässt sich wenigstens etwas erkennen, und bei Wegname der Folie reagieren die Ameisen weniger stark als bei plötzlichem Lichteinfall nach völliger Dunkelheit, etwa nach Verdunkelung mit schwarzem Papier, Pappe, Alufolie etc..

Ich möchte betonen, dass ich kein Fachmann für Neuro- und Sinnesphysiologie bin, und die Sache ist sicher noch komplizierter, als dieser kurze Überblick vermitteln kann.

MfG,
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