Ameisen aussetzen

Hier können Fragen rund um das Thema Ameisenhaltung gestellt werden.

Ameisen aussetzen

Beitragvon Reber » Freitag 27. Juni 2014, 18:46

Ein an Lehrpersonen gerichteter Artikel, der auf der Seite des einzigen Ameisenhändlers in der Deutschschweiz veröffentlicht wurde, enthält interessantes:
Neben einem Appell an die Lehrpersonen, den Kindern korrekte Werte im Umgang mit Lebewesen zu vermitteln und der Bitte, sich nur einheimische Arten ins Klassenzimmer zu holen, wird auch auf Artikel 26. im Schweizerischen Tierschutzgesetz hingewiesen:

Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer vorsätzlich:
(...)
e. ein im Haus oder im Betrieb gehaltenes Tier aussetzt oder zurücklässt in der Absicht, sich seiner zu entledigen.


Können sich also Ameisenliebhaber in der Schweiz künftig Appelle an die Vernunft sparen und statt auf die Gefahren hinzuweisen, die von invasiven Arten und einer möglichen intraspezifischen Homogenisierung ausgehen, einfach einen Gesetzesartikel zitieren?

Eher nicht, denn:
Das Gesetz gilt für Wirbeltiere. Der Bundesrat bestimmt, auf welche wirbellosen Tiere es in welchem Umfang anwendbar ist. Er orientiert sich dabei an den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Empfindungsfähigkeit wirbelloser Tiere.


Bleibt zu hoffen, dass der Appell trotzdem ankommt!
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Re: Ameisen aussetzen

Beitragvon Trailandstreet » Donnerstag 14. August 2014, 12:12

Ich muss jetzt diesen Beitrag nochmal auffrischen und zwar würde mich interessieren, wie weit sich Ameisen unter normalen Umständen ausbreiten, bzw wie weit vom Fundort man eine Kolonie auswildern kann, wenn sie denn aus der Region stammt.
Dass eine geflügelte Gyne locker mehrere Hundert Meter hinter sich bringen kann, wenn nicht sogar ein paar Kilometer ist klar, aber ab wann fängt es an kritisch zu werden?
Gibt es vielleicht auch besondere "Inseln" auf denen bestimmte Arten nur dort vorkommen?

Ich rede hier natürlich von einheimischen Arten, die entweder eingesammelt wurden, oder von denen die Gyne in der Gegend gefunden wurde.
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Re: Ameisen aussetzen

Beitragvon Merkur » Donnerstag 14. August 2014, 15:44

@ Trailandstreet:

Die harte, aber relistische Antwort wäre: Es ist wurscht!

Wenn man in anderen Foren so liest, auch aktuell wieder, wie sorglos mit dem Thema umgegangen wird, selbst wenn es um importierte Ameisen aus weiter Entfernung geht, muss man zu dem Schluss kommen, dass eigentlich kaum noch etwas zu verderben ist!

Hinzu kommt, dass in den Ameisenforen sich mit Sicherheit nur ein winziger Bruchteil der Halter äußert, die ihre Ameisen bedenkenlos auskommen lassen, freisetzen, oder bewusst im Freien ansiedeln. Die ganz große Mehrheit dürfte es einfach tun, ohne sich darum Gedanken zu machen oder gar sich dazu zu äußern.

Die Argumente sind so primitiv wie in allen früheren Diskussionen in den Ameisenforen: „die meisten Exoten kommen ohnehin mit anderen Waren ins Land“, „ich habe noch keine negativen Auswirkungen gesehen“, oder „mit der Erderwärmung wandern sie ohnehin ein“, und „Organismen wandern seit eh und je“, usw..
Dass es in unserer aktuellen Situation um Veränderungen im Zeitraum von wenigen Jahren bis Jahrzehnten geht, bei den natürlichen Wanderungen dagegen um Zehn-, ja Hunderttausende von Jahren, dazu muss man halt eine gewisse Vorstellung von der Erdgeschichte haben. Wikipedia macht’s einfach, sich darüber zu informieren!

Konkret lässt sich für keine Art genau angeben, wie weit Geschlechtstiere sich aktiv ausbreiten können. Man kann, wenn denn eine Aussetzung überflüssiger Tiere überhaupt vorgenommen werden soll, nur sagen: So nahe am Fundort/Herkunftsort wie möglich. Und wenn man nicht so eben mal nach Spanien reisen kann um die gekauften und von dort stammenden Ameisen zu entsorgen, oder wenn man die Herkunft nicht genau kennt, dann bleibt eigentlich nur die Möglichkeit, sie auf möglichst „humane“ Weise zu töten. Heißes Wasser drüber geht am schnellsten.... Und wer das nicht über's Herz bringt, soll sich das bitteschön vor Beginn der Haltung überlegen!

Selbstverständlich gibt es Arten mit disjunkter Verbreitung, die etwa innerhalb Europas einige voneinander isolierte Vorkommen haben, z. B. Messor cf. structor: Am Mittelrhein, im NO von Österreich, und ein weitgehend geschlossenes Verbreitungsgebiet in Südfrankreich und im Mittelmeerraum (abgesehen von Vorkommen auf den Mittelmeer-Inseln).

Mit etwas Suche sind in den Foren eine ganze Reihe von einschlägigen Threads zu finden, wo alle Argumente bis zum Erbrechen wieder und wieder durchgekaut wurden! Stichworte: "Infektionsthread" sowie "Intraspezifische Homogenisierung", und die in den "Wissensthreads" diverser Foren vorhandenen Informationen, z. B. http://www.ameisenforum.de/wissensthrea ... hread.html

Es tut mir aufrichtig Leid, aber ich habe angesichts der Übermacht (EU-hörige Naturschutz-Behörden) und zahlenmäßig riesigen Überlegenheit der Befürworter des freien Handels mit Ameisen die Segel gestrichen; ich "kämpfe" nicht mehr, ich habe resigniert. :(

MfG,
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Re: Ameisen aussetzen

Beitragvon Teleutotje » Freitag 15. August 2014, 10:46

I have to agree with the Professor.

It's already many years that scientists and people with natural concern are asking, begging,... not to buy and sell foreign ants, transport common species from one end of a continent/country to the other side,.... because all you do is contaminate one area with species/individuals from other places. Even with individuals from a common species let free in another area you can disrupt populations of that species and "contaminate" genetic scientific studies. The same happens with foreign species, those even can wipe out indigenous species and become pests. Also faunistic lists can be contaminated by that practice (e.g. in Belgium Camponotus vagus is recorded as an indigenous species but in reality it's the fault of an amateur who didn't know he was doing and never got the nerves to tell he made the mistake. - No, not me but I had contact with him a few years ago...).

But when you start making these comments online, all you can get is insults and threats... Yes, it happened with me. I left a Dutch forum because I made a similar comment about a prize (a species not indigenous in Belgium.) and I got remarks to "shut up", "get out of here", "what do you think you are", "watch out what you do, you don't know who I am and when I'm behind you", ... and more of that stuff. I got out of the forum and I'm happy not to know what more they said!

And all this because the scientific world wants to be careful and asks to look out what you do. No! For me, it got then too much and now, if I see it goes the same way, I'm out. Maybe, people with "love for the natural world" (strictest sense) like me and the Professor can, if it happens again, start a forum with the other scientists and try to keep the world in order together with people of the same mind.

Hope it never gets so far here and all of you, if you keep foreign ants, try to do it like it should and never contaminate your surrounding nature. Only then I stay in favor of this site!!!

Maybe I sound to hard but again getting threats like that, no thanks! Hope you all are nicer and more concerned about nature than those on the Dutch forum!
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Re: Ameisen aussetzen

Beitragvon Reber » Freitag 15. August 2014, 16:57

Ein kleiner Nachtrag noch zu meinem ersten Beitrag. Das Aussetzten von gebietsfremden Organismen ist in der Schweiz tatsächlich verboten. Ebenso das freisetzen von invasiven gebietsfremden Arten. Allerdings nicht aufgrund des Tierschutzgesetzes, sondern aufgrund anderer Gesetze und Verordnungen, deren Auflistung man hier findet.

Laut der Freisetzungsverordnung gelten als gebietsfremde Organismen:
Organismen einer Art, Unterart oder tieferen taxonomischen Einheit, wenn: 1.deren natürliches Verbreitungsgebiet weder in der Schweiz noch in den übrigen EFTA- und den EU-Mitgliedstaaten (ohne Überseegebiete) liegt (...)


Als invasive gebietsfremde Organismen gelten:
gebietsfremde Organismen, von denen bekannt ist oder angenommen werden muss, dass sie sich in der Schweiz ausbreiten und eine so hohe Bestandesdichte erreichen können, dass dadurch die biologische Vielfalt und deren nachhaltige Nutzung beeinträchtigt oder Mensch, Tier oder Umwelt gefährdet werden können;


Weiter heisst es in
Art. 15 Schutz von Menschen, Tieren, Umwelt und biologischer Vielfalt vor gebietsfremden Organismen

1 Der Umgang mit gebietsfremden Organismen in der Umwelt muss so erfolgen, dass dadurch weder Menschen, Tiere und Umwelt gefährdet noch die biologische Vielfalt und deren nachhaltige Nutzung beeinträchtigt werden, insbesondere dass:
a.die Gesundheit von Menschen und Tieren nicht gefährdet werden kann, insbesondere nicht durch toxische oder allergene Stoffe;
b.die Organismen sich in der Umwelt nicht unkontrolliert verbreiten und vermehren können;
c.die Populationen geschützter Organismen, insbesondere solcher, die in den Roten Listen aufgeführt sind, oder für das betroffene Ökosystem wichtiger Organismen, insbesondere solcher, die für das Wachstum und die Vermehrung von Pflanzen wichtig sind, nicht beeinträchtigt werden;
d.keine Art von Nichtzielorganismen in ihrem Bestand gefährdet werden kann;
e.der Stoffhaushalt der Umwelt nicht schwerwiegend oder dauerhaft beeinträchtigt wird;
f.wichtige Funktionen des betroffenen Ökosystems, insbesondere die Fruchtbarkeit des Bodens, nicht schwerwiegend oder dauerhaft beeinträchtigt werden.

2 Mit invasiven gebietsfremden Organismen nach Anhang 2 darf in der Umwelt nicht direkt umgegangen werden; ausgenommen sind Massnahmen, die deren Bekämpfung dienen. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) kann im Einzelfall eine Ausnahmebewilligung für den direkten Umgang in der Umwelt erteilen, wenn die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller nachweist, dass sie oder er alle erforderlichen Massnahmen zur Einhaltung von Absatz 1 ergriffen hat.
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Re: Ameisen aussetzen

Beitragvon Trailandstreet » Freitag 15. August 2014, 17:58

Na das ist doch mal was. Da muss ich mich glatt mal schlau machen, ob es sowas bei uns auch gibt.
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Re: Ameisen aussetzen

Beitragvon Merkur » Montag 18. August 2014, 15:52

Wahrscheinlich lesen die meisten hier auch im Ameisenforum mit. Dennoch sei auf den neuen, monströsen Thread dort verwiesen. :roll:
http://www.ameisenforum.de/off-topic/52 ... eisen.html

MfG,
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Re: Ameisen aussetzen / Intraspezifische Homogenisierung

Beitragvon Merkur » Sonntag 24. August 2014, 17:20

Der Thread zur „Intraspezifischen Homogenisierung“ im Ameisenforum läuft ja noch immer.
Nun, nach 65 Posts, sind endlich zwei User darauf gekommen, dass der unselige Begriff (aus der deutschen Fassung des engl. Originals) nichts anderes bedeutet, als die altbekannte und auch außerhalb der Ameisen vielfach beklagte „Intraspezifische Faunenverfälschung“.
http://www.ameisenforum.de/370611-post66.html
http://www.ameisenforum.de/370617-post67.html

Buschinger, A. (2004): International Pet Ant Trade Increasing Risk and Danger in Europe – (Hymenoptera, Formicidae). Aliens 19&20, 24-26
IV - "Intraspecific bastardisation of fauna" - a neglected risk.
With "intraspecific bastardisation of fauna" I mean that not only the introduction of a foreign species into a native fauna or ecosystem may become hazardous, but also the introduction of members of a species into distant populations of the same species. In Europe there are numerous species with a very wide range, from Mediterranean through subarctic habitats. We may assume that their local populations usually have developed special adaptations to the local c1imatic conditions etc. If transferred to a sufficiently distant place they may either disappear (if they do not tolerate the local conditions - the best case), or hybridise with the resident population, which might weaken the adaptiveness of the local population. A further problem in this context is that expensive studies on biogeography and phylogeography may be jeopardized.

Ich habe dies in diversen Forums-Diskussionen immer und immer wieder klarzustellen versucht. Leider ohne viel Erfolg. Und Englisch ist für manchen kritikfreudigen User wohl doch zu schwierig. :roll: (Obwohl natürlich auch der deutsche Text in "Myrmecological News" die ausführliche Erläuterung enthält).

(Absichtlich?) irreführend ist es auch, als Beispiel immer wieder ausgerechnet die weit verbreitete, sehr häufige und sehr flugtüchtige Lasius niger heranzuziehen, bei der wahrscheinlich nicht viel zu verderben ist, wenn man ein Volk aus Hamburg in München freilässt. Es gibt genügend andere Arten im Handel und in der Haltung, die in Teilen Mitteleuropas kleine, oft untereinander isolierte Populationen umfassen (Bsp. Messor cf. structor, Camponotus vagus!), und die wesentlich empfindlicher auf die Zuführung einiger Völker etwa aus West-, Süd- oder Osteuropa reagieren dürften. Aussetzung in Bereichen, in denen die betr. Art bisher nicht vorkommt, kann Schaden für biogeografische Untersuchungen bewirken; auch das wurde bereits 2004 hervorgehoben.

MfG,
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Re: Ameisen aussetzen

Beitragvon Merkur » Sonntag 24. September 2017, 11:28

Interessante Diskussion im fc-Forum http://www.formiculture.com/

(Ich hänge den Beitrag an diesen "alten" Thread an, da er inhaltlich gut dazu passt)

Das Thema im amerikanischen Forum, „Over hunting“ (etwa „übermäßiges Sammeln“) sagt wenig aus über die weitere Entwicklung des Threads. – Durch das Wegsammeln einiger schwärmender Gynen kann man wenig Schaden anrichten; problematischer ist das Ausgraben von Kolonien. Aber das ist längst bekannt.
Spannender wird die Diskussion, wenn es um das (Wieder-) Freilassen gehaltener Kolonien geht, um das Risiko der Verschleppung von Infektionen und Parasiten, insbesondere wenn Völker nicht-lokaler Herkunft in eine Population entlassen werden, selbst wenn es sich taxonomisch um dieselbe Art handelt.
(Nicht alle Argumente kann ich ernst nehmen; etliche Beiträge halte ich für absurd)
In dem Forum beteiligen sich neben amerikanischen Haltern und Wissenschaftlern (gcsnelling, Myrmekologe; batspiderfish, Genetiker und Moderator) auch deutschsprachige User, die hier im AP ziemlich sicher mitlesen. Ein paar Beiträge betreffen Probleme, die in deutschen Foren früher ausführlich besprochenen wurden. Ich fand keine neuen Argumente, aber immerhin Beiträge, die einige meiner früheren Kritikpunkte aus den „Infektionsthreads“ ansprechen, offenbar ohne die entsprechende Publikation aus 2004 zu kennen.
Wie in den deutschen Foren treffen die paar Wissenschaftler auch im fc-Forum auf Ablehnung durch Laien, die es besser zu wissen glauben.
http://www.formiculture.com/topic/7060- ... entry73080
Besonders interessant: http://www.formiculture.com/topic/7060- ... g/?p=73291
Ich bin in jenem Forum nicht angemeldet, lese nur gelegentlich mit. Es ist ja ein öffentliches Forum! ;)

Schönen Sonntag, und mfG,
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