Die Arbeit Ward et al. (2015) ist jetzt im Druck erschienen!Philip S. Ward, Sean G.Brady, Brian L. Fisher and Ted. R. Schultz: The evolution of myrmicine ants: phylogeny and biogeography of a hyperdiverse ant clade (Hymenoptera: Formicidae). - Systematic Entomology (2015), 40, 61–81
Und es resultiert fast schon ein “shitstorm“ unter den Wissenschaftlern!
Noch weiß ich davon nur aus einer Flut von E-Mails, die ich heute im Postfach hatte, und aus denen ich nur Bruchteile wiedergeben kann. Gestartet wurde die Debatte von dem uns wohlbekannten Dr. Bernhard Seifert. Die Diskussion unter den angeschriebenen Kolleg/inn/en deutet auf einen generellen Konsens hin, wonach die von Ward et al. vorgeschlagenen Änderungen im System der Myrmicinae nicht akzeptabel sind (für Einzelheiten siehe Startpost hier im AP).
Zwar ist das Vorgehen der Autoren sachlich nicht (bzw. nur wenig) angreifbar, aber
die Konsequenzen für die Praxis sind schrecklich, wie eingangs bereits ausgeführt.
Es läuft nun darauf hinaus, dass unterschiedliche
„Meinungen“ (hier ist der Begriff tatsächlich angebracht!) die Myrmekologen-Gemeinde spalten.
Die Gruppe um Phil Ward ist formal im Recht; die Systematik soll der Phylogenie angepasst werden.
Die andere Gruppe, der „große Rest“ der Myrmekologen scheut die Konsequenzen für die Praxis, die zahlreichen Umbenennungen und den Verlust an Information, die bisher mit den traditionellen Gattungsnamen verbunden war.
Am besten sind vielleicht ein paar Bemerkungen (sinngemäß wiedergegeben) der Kollegen und einige Beispiele, die solche unangenehmen Folgen verdeutlichen:
Kontra: „Ich frage mich manchmal, wie weit es über den akademischen Wert hinaus von Bedeutung ist zu wissen, dass eine Nachtigall mit dem Nilkrokodil näher verwandt ist als dieses mit dem Komodowaran. Wer mit diesen Organismen praktisch arbeitet, wird sich von solchem Wissen kaum beeinflussen lassen."
Pro: Die „alte“ Systematik macht
Temnothorax zu einer nicht-natürlichen (paraphyletischen) Gruppe (sie enthält nicht alle daraus hervor gegangenen Arten). Man kann aber die alten Bezeichnungen beibehalten. So kann die bisherige Gattung
Chalepoxenus nun als „
Temnothorax muellerianus-Gruppe“ bezeichnet werden. Oder, um die alten Namen zu zitieren, kann man schreiben:“
Temnothorax muellerianus-Gruppe (früher
Chalepoxenus)“.
Kontra: “
Temnothorax ravouxi-Gruppe (früher
Myrmoxenus)” führt zu einer umständlichen Ausdrucksweise, und zu Verwirrung bei jedem mit gesundem Menschenverstand. Stell’ Dir vor, wir sitzen beim Frühstück und ich bitte Dich darum,
„mir dieses Metallgerät zu reichen (früher als Teelöffel bezeichnet)“. Kontra: “Wofür brauchen wir Namen? – Sie haben ihre Bedeutung, ob in der Lehre oder im Naturschutz! Bei Insekten gibt es nur die wissenschaftlichen Namen für diese Zwecke; es gibt kaum Trivialnamen für Gattungen wie etwa
Tetramorium. Hingegen benutzen wir Namen wie „Reptilien“ oder „Fische“ für diese paraphyletischen Gruppen, ohne dass das jemanden stört. Deshalb haben wir das Gefühl eine Menge an Information zu verlieren, wenn Namen für biologisch gut definierte Gruppen aufgrund von Synonymie verschwinden sollen.“
Und zwei hässliche
Beispiele aus der Veröffentlichung von Ward et al. (2015):
Die Parasiten-Gattung
Myrmoxenus wird mit
Temnothorax synonymisiert. Folglich heißen sie nun
Temnothorax adlerzi, algeriana, corsica, ravouxi, stumperi…
Aber: Es gab bereits eine
Temnothorax kraussei und eine
Temnothorax tamarae, die damit ältere Synonyme für die umbenannten
Myrmoxenus werden. Letztere müssen also auch neue Artnamen bekommen und werden somit zu
Temnothorax mediterraneus bzw.
T. georgicus.
Ähnlich sinnverwirrend wird es bei
Teleutomyrmex schneideri (der berühmten arbeiterinlosen „Endameise“, deren Königin zeitweise auf der
Tetramorium-Königin "reitet"): Sie soll zu
Tetramorium inquilinum werden, weil es bereits eine
Tetramorium schneideri gibt.
(ich wiederhole mich!)
Und bei
Strongylognathus (den Sklavenhaltern mit Säbelkiefern bei
Tetramorium) machen Ward et al. dann doch eine
bemerkenswerte Ausnahme von ihren Prinzipien:
Strongylognathus ist als Gattungsname älter als
Tetramorium. Infolgedessen müssten alle bisherigen
Tetramorium-Arten in
Strongylognathus umbenannt werden.
Das ist selbst Ward und Kollegen zu viel der Verwirrung, und so sollen die Namen
Tetramorium und
Strongylognathus beibehalten werden!
(Hermit erteile ich jedem Absolution, der nicht ganz mitgekommen ist! - Merkur )Nun für die Praxis (Faunistische Arbeiten; Veröffentlichungen zur Lebensweise von Arten der Myrmicinae; Ameisen-Haltung, -Fang, -Handel):
Es ist aus meiner Sicht
empfehlenswert, bei den bisherigen Namen zu bleiben und abzuwarten. Es kann Jahre dauern, bis eine allgemein akzeptierte Lösung gefunden wird. Wissenschaftler mögen in ihren Veröffentlichungen einen Vermerk anbringen, dass sie die Arbeit Ward et al. (2015) kennen, aber die dort vorgeschlagenen Änderungen bewusst nicht übernehmen.
MfG,
Merkur