Formica polyctena contra Lasius fuliginosus

Formica polyctena contra Lasius fuliginosus

Beitragvon Boro » Freitag 29. Mai 2015, 10:39

Beide Arten, Formica polyctena und Lasius fuliginosus gelten als "Waldameisen" und sind auf Trophobiose angewiesen. Beide Arten gelten mitunter als sehr volkreich, F.polyctena kann einige 100.000 Arbeiterinnen im Nest beherbergen, L. fuliginosus bei polygynen u. polydomen Anlagen bis 2 Millionen (SEIFERT 291). Sie können daher als Konkurrenten auftreten, wobei Lasius fuliginosus wegen der chemischen Kriegsführung im Vorteil ist.
Gestern nachmittags hatte ich eine interessante Begegnung in einem völlig dunklen, sonnenlosen Hohlweg: ein Kriegsgeschehen zwischen beiden Arten.
Ort des Geschehens: Hügelland südwestl. von Klagenfurt (Kärnten) in einem Mischwald, 780 m Höhe. Zeit: 17:00 bis 18:00, Temperatur ca. 18°C Anwesend: Boro mit Hund!

SEIFERT berichtet zum interspezifischen Verhalten v. L. fuliginosus: "Das Mandibeldrüsensekret Dendrolasin und das Dufour-Drüsensekret Undekan bewirken intraspezifisch Alarmierung und Rekrutierung, auf den Gegner aber verwirrend- und extrem abschreckend. Eine langsame Territoriumsausweitung hinein in die Gebiete mächtiger Waldameisenkolonien mittels dieser Kampfstoffe ist keine Ausnahme" (S. 293)
Tatsächlich kann es sich um einen derartigen Vorgang gehandelt haben, es ist aber nicht sicher, weil ich den status quo vor diesem Geschehen nicht kenne.
Subjektive Beurteilung des Kampfgeschehens:
1. L. fuliginosus drang von einem bestehenden Nest am Fuß einer Rotbuche über einen Waldweg zu einer etwa 5 m entfernten Eiche vor. Der Vormarsch erfolgte sehr "diszipliniert", in einer Marschkolonne von etwa 4-5 cm Breite. Die Basis der Eiche war besetzt und von einem dicht gestaffelten Kordon von Arbeiterinnen umgeben. Beteiligt waren sicher einige Tausend Arbeiterinnen in der für L. fuliginosus typischen, relativ langsamen Fortbewegung.
F. polyctena-Arbeiterinnen drangen von der anderen Seite Richtung Eiche und einer in 3 m davon entfernten Fichte vor. Die Zahl der Arbeiterinnen war unübersehbar, in einer mindestens 2 m breiten, aber sehr losen und zerstreuten Formation. Die erwähnte Fichte wurde (noch) von unzähligen Formica-Arbeiterinnen belaufen. Diese zerstreute Angriffsformation sollte sich gegen die massive "Phalanx" der Lasius als Nachteil erweisen.
2. Im unmittelbaren Aufeinandertreffen beider Arten scheuten die Formica-Arbeiterinnen die Attacke. Die als kampfstark und sehr aggressiv eingestuften Waldameisen erwiesen sich als zögerlich, vor der unmittelbaren Konfrontation zurückweichend. Kein einziges Mal wurde die typische Droh- und Kampfhaltung der Formica mit vorgestreckter Gaster beobachtet und auch die entsprechende Krümmung der Gaster zum Verspritzen des Giftes bei Feindkontakt wurde kein einziges Mal gesehen.
3. Kampf: Wenn eine Formica zwischen die Lasius-Arbeiterinnen geriet, wurde sie attackiert. Das typische "Strecken" des Gegners, das einige Laisus-Verwandte als Kampfstrategie hervorragend beherrschen, wurde nicht angewendet. Die Formica-Arbeiterin schien apathisch, zu keiner sonst üblichen Abwehr bereit. Die Lasius-Arbeiterinnen umringten die anscheinend fast paralysierte Gegnerin und bissen dieser in Thorax- oder Kopfgegend, was bei der gut gepanzerten Formica kaum tödliche Folgen gehabt haben wird. Bei längerer "Gefangenhaltung" der Formica, schien diese mehr oder minder bewegungsunfähig zu sein. Es gab etliche dieser gefangenen Waldameisen, aber keine einzige gefangene Lasius fuliginosus.
Bilder folgen!
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Re: Formica rufa contra Lasius fuliginosus

Beitragvon Boro » Freitag 29. Mai 2015, 10:55

Die Bilder sind leider von mäßiger Qualität. Der Blitz wird von der glänzend-schwarzen Körperoberfläche v. L. fuliginosus reflektiert, Diffusor war keiner zur Hand. Die Lichtverhältnisse waren schlecht.
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Dateianhänge
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Marschkolonne f. L. fuliginosus, daneben gibt es einige Individuen viell. zur Absicherung der Marschroute
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Anmarsch der Formica
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Unvorsichtige Waldameisen werden gefangen und zu Tode "behandelt"
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der selbe Ort, 2 Minuten später
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Der Moospolster am Fuß der Eiche war von vielen "ortsfesten" Verteidigern besetzt
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Auf der Buche über dem Nest v. L. fuliginosus ging das Leben inzwischen "ungeniert" weiter, einschließlich des Erscheinens schwarmbereiter Geschlechtstiere!
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Re: Formica polyctena contra Lasius fuliginosus

Beitragvon Boro » Freitag 19. Juni 2015, 11:09

Heute muss ich 2 Änderungen/Ergänzungen hinzufügen:
1. Bei der Waldameise handelt es sich nicht um F. rufa, sondern nach ausführlicher Bino-Betrachtung eindeutig um F. polyctena! Titel und Text wurden bereits geändert!
Das Waldameisennest konnte ich erst gestern orten: Das Gelände war kaum begehbar, Gestrüpp und vor allem Brombeeren und Himbeeren machten die Suche schwierig. Tatsächlich befindet sich das Nest in fast 40 m Entfernung und von dort führt eine breite - wie geschildert - sehr lockere Marschordnung in Richtung der erwähnten Fichte. Die Breite reicht von etwa 1 m in eigener Nestnähe bis zu 4 und 5 m Breite über den Waldweg Richtung Fichte. Es scheint so, also ob sich Formica kaum an eine Duftspur hält, sondern eher nach dem polarisierten Himmelslicht im UV-Bereich orientiert.
2. Das Kampfgeschehen hat sich diesmal - vielleicht auf Grund der höheren Temperatur - etwas anders dargestellt: Seit dem 28.5. hat sich territorial nichts geändert. Ich musste den Eindruck gewinnen, dass sich Formica keineswegs auf dem Rückzug befindet, die Territoriumsgrenzen sich gleich geblieben. Es geht um Konkurrenz, um die Beherrschung von Dauernahrungsplätzen und um die Benützung der "Zufahrtsstraßen" zu diesen.
Das Problem besteht darin, dass die beiden genützten Bäume (Eiche-Lasius) und Fichte (Formica) nur etwa 3 m voneinander entfernt stehen und vor allem die breit angelegten Vormarschwege der Formica immer wieder die "Straße" der Lasius berühren, wodurch es zu den genannten Auseinandersetzungen kommt.
Während einige Formica dem Territorium der Lasius zu nahe kamen und sofort attackiert wurden, erwiesen sich die Attackierten diesmal "geschickter": Unmittelbar nach dem Kontakt u. dem Zubeißen der Lasius, versuchten sich die Formica möglichst rasch aus dem Gefahrenbereich zu bringen, indem sie die Lasius mitzogen und gleichzeitig durch Abstreifbewegungen des Körpers am Untergrund aufgetragenes Gift loswerden wollten. Kam eine weitere Formica zu Hilfe, konnte es um die Lasius geschehen sein. Tote oder fast tote Formica-Arbeiterinnen wurden häufig Richtung Lasius-Nest abtransportiert, aber auch aufseiten der Lasius gab es etliche Opfer, denen schließlich von mehrern Formica der Garaus gemacht wurde.
Gestern hat ein Filmteam diese Auseinandersetzung ganztätig gedreht, die in eine Universum-Produktion eingebaut werden sollen; es wird sich letzlich um etwa 2 Min. handeln, die verwendet werden. Bitte, wieviele Menschen haben schon eine Auseinandersetzung zw. Formica sp. und L. fuliginosus gesehen? . Der Boro durfte als Berater fungieren!!
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DSC09937.JPG
Eine Lasius hat zugebissen - die Formica versucht sich aus der Gefahrenzone zu bringen und reißt die Angreiferin sofort mit sich mit!
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Auch das gab es diesmal häufig: Der körperlich überlegene Gegner wird von mehreren Angreifern gestreckt u. damit wehrlos gemacht!
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Daneben ging der übliche Tagesauflauf ungeniert weiter: Lasius mit vollem Kropf eilen Richtung Nest, manchmal wird irgendeine Beute mitgeschleppt!
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Auf der "anderen Seite" ebenso: Beute der Formica
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Re: Formica polyctena contra Lasius fuliginosus

Beitragvon Boro » Dienstag 4. August 2015, 13:52

Niederlage auf der ganzen Linie!
3 Wochen war ich nicht mehr vor Ort, gestern haben der Sohn und ich den Schauplatz der damaligen Rievierkämpfe besichtigt. Und es war nichts mehr wie vorher: Formica polyctena hat das gesamte Territorium übernommen, Lasius fuliginosus wurde auf den unmittelbaren Nestbereich am Fuße einer mächtigen Esche zurückgedrängt. Das hab ich mir nicht erwartet, zumal verschiedene Literaturstellen eher das Gegenteil suggerieren, nämlich das Zurückdrängen von Formica s. str. durch L. fuliginosus wegen ihrer hochwirksamen chemischen Kampfstoffe.
Allerdings muss man sagen,
1. dass inzwischen ein krasses Missverhältnis in der Volksstärke zw. beiden Arten festgestellt wurde. F. polyctena operiert von 2 ca. 25 m voneinander entfernten Nestern aus gemeinsam, das zweite Nest hatte ich damals nicht entdeckt. Man kann davon ausgehen, dass es sich bei diesem Nest um einen Ableger von Nr. 1 handelt. In einem breiten Strom ergießen sich zig-tausende Formica über den oben erwähnten Waldweg Richtung Eiche. Sie haben den "Nahrungsbaum" von L. fuliginosus "übernommen", in einer unentwegten, den gesamten Stamm umfassenden Kolonne marschieren sie auf- und abwärts. Die Zahl der Formica ist unüberschaubar und kaum abschätzbar, vielleicht sind es 100.000e Individuen.
2. Offensichtlich zur Absicherung ihres Revieranspruches haben sie auf dem Gelände der damaligen immer wieder kehrenden Kämpfe etwa 4 m von der Eiche entfernt eine Nest aufgebaut - nach 3 Wochen ist es bereits etwa 40 cm hoch und hat einen Durchmesser von viell. 70 cm.
3. L. fuliginosus behält derzeit (noch) das eigene Nest. Subjektiv gesehen ist die Zahl der von dort weglaufenden Arbeiterinnen deutlich geringer als vor 3 Wochen. 20 cm (!) neben ihrem Nesteingang werden sie aber schon von versprengten Formica belästigt, aber hier setzt sich Lasius noch zur Wehr. Von dort hat Sohn Roman ein paar Fotos geschossen. Ich schließe aber nicht aus, dass L. fuliginosus auch den derzeitigen Neststandort aufgeben muss. Ich bin schon gespannt, wie es in einigen Wochen aussieht.....
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Formica in Bedrängnis, das ganze Tier ist "nass", vermutlich durch die abgesetzten chem. Substanzen von Lasius
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Das ist eine andere F. polyctena
Boro
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