von NIPIAN » Mittwoch 7. Oktober 2015, 19:37
Hoi,
Blausäure ist für jedes Lebewesen mit sauerstoffbedingter Atmungskette in entsprechender Dosis tödlich - nur einige vertragen es besser/schlechter als andere, also mehr/weniger von dem Zeug - JEDES Lebewesen, welches auf Mitochondrien zurückgreift, ist blausäureanfällig.
Die Atmungskette, lokalisiert an der inneren Mitochondrienmembran, ist DIE Energieweiterverarbeitungszentrale für komplexere Lebensformen schlechthin. Die entnommene Energie aus der Verstoffwechselung der Glukose wird mittels eines Protonenträgers dort "eingespeist" - im Übrigen ist das die Stelle, an der der Sauerstoff ins Spiel kommt und zu Wasser wird; unsere körpereigene kleine und kontrollierte Knallgasreaktion - und überträgt die Energie auf einen Kurzzeitspeicher, das ADP (welches zu ATP wird - die Energie wird in einer Phosphatanhydridbindung gespeichert). Die Blausäure bindet an einen Teil der Atmungskette, inaktiviert ihn und kann nicht mehr abgelöst werden. Es ist quasi das ulitmative Stoppschild der aeroben (sauerstoffbedingten) Energiegewinnung. Dadurch wird dem Organismus der Großteil der Möglichkeit der Energieproduktion für die Stoffwechselvorgänge entzogen.
Die Freisetzung von Blausäure aus cyanogenen Glykosiden ist dann möglich, wenn die Zuckermoleküle durch Enzyme abgespalten werden können. Ich habe keine Ahnung, ob Ameisen diese haben. Da diese Enzyme allerdings grundlegender Baustein / Voraussetzung zur Glukosefreisetzung im Rahmen der Verdauung sind, halte ich das für nahezu sicher.
Kleiner Exkurs: beim Menschen (praktisch allen landbewohnenden, mehrzelligen Lebewesen) steht bspw. noch die Laktatproduktion offen, welche im Rahmen der Glykolyse unter Sauerstoffmangel möglich ist. Das Problem bei der Blausäure ist, dass sämtliche beteiligten Pro-/Edukte vor der blockierten Stelle der Atmungskette irgend wann einmal "vollgeladen" sind und es nicht weiter geht, quasi ein Stau entsteht. Das staut sich zurück, bis zur Glykolyse, genau gesagt zum Pyruvat (es gibt noch ein paar andere kleine Wege, aber die sind vergleichsweise unwichtig, bzw. haben ein ungünstiges Reaktionsgleichgewicht für die entgegengesetzte Richtung). Nun muss der Körper aus der Glukose permanent Laktat bilden, will er die Energiebereitstellung irgendwie gewährleisten. Problem hierbei: das Laktat wirkt in Lösung als Säure. Der Körper benötigt aber einen fein ausbalancierten pH-Wert (im Blut liegt der menschliche pH-Wert etwa bei 7,35 - 7,45) und hat nur zwei Möglichkeiten das zu regeln: über die Atmung (Kohlensäure zu CO2 und das über die Lunge ausatmen) und über die Niere (H3O+), sowie daran gebunden, teilweise die Leber. Der Körper wird also sehr stark atmen müssen, um den pH-Wert im Blut schnell ausgleichen zu können, denn die Niere ist für die pH-Wert-Einstellung ein zu träges Organ. Da aber nur eine begrenzte Menge an CO2 abgeatmet werden kann, dieser Stoff entsteht zum absolut größten Teil im Rahmen der Stoffwechseltätigkeit ab dem Pyruvat über den Szent-Györgyi–Krebs-Zyklus bis hin zur Atmungskette, gelangt der Körper mit der pH-Regulation schnell an seine Grenzen. Deshalb ist wohl der Begriff des "inneren Erstickens" bezüglich der Cyanidwirkung entstanden. Der Körper atmet wie verrückt, weil der Körper "sauer" ist, wird aber parallel die nötige Energie nicht bereitstellen können. Da hilft auch hinlegen und entspannen nichts, die weitaus meiste Energie verbraucht der Körper "im Leerlauf", bzw. während des am Laufen haltens der Stoffwechselvorgänge. Muskeltätigkeit hat da nur einen sehr geringen Stellenwert. Jedenfalls bei den meisten von uns.
Kurz zum Schluss: meine Ausführung ersetzt nicht den Blick ins Lehrbuch. Ich habe nur ein paar markante Stellen, quasi die Ankerpunkte hervorgehoben. Vom Prinzip her funktioniert es so. Je nach Interessenlage - die Wikiartikel bieten inzwischen einen sehr guten Einstieg in die Basisthemen der Biochemie, sprich Reaktionsgleichgewicht, Glykolyse, Szent-Györgyi–Krebs-Zyklus, Atmungskette etc.
Wissen ist Macht und Macht ist Kraft und Kraft ist Energie und Energie ist Materie und Materie ist Masse und deshalb krümmen große Ansammlungen von Wissen Raum und Zeit (Die Gelehrten der Scheibenwelt - Pratchett/Stewart/Cohen)