Doch wie viele Spermien werden für die Besamung eines einzigen Eies benötigt? – Klar ist, dass für die Befruchtung einer Eizelle ein einziges Spermium ausreicht: Der einfache (haploide) Chromosomensatz der Eizelle verschmilzt mit dem ebenfalls haploiden Satz des Spermiums, wenn dieses in die Eizelle eingedrungen ist. So läuft das bei allen Tieren mit zweigeschlechtlicher Fortpflanzung.
Es gibt in der Literatur viele Vermutungen in der Richtung, dass bei Ameisen für die Besamung eines Eies kurz vor dessen Ablage nur einige wenige, im Extremfall ein einziges Spermium aus dem Receptaculum zur Eizelle befördert wird. Doch exakte Berechnungen findet man kaum.
In dem Buch von Walter Tschinkel „The Fire Ants“ (2006) wird für Feuerameisen (Solenopsis invicta) eine interessante Kalkulation vorgestellt.
Der Autor berichtet aus eigenen Untersuchungen, dass eine Königin mit rund sieben Millionen Spermien an den Start geht. Die Arbeiterinnen haben eine geringe Lebensdauer von oft nur 2-3 Monaten, so dass die gesamten Arbeiterinnen innerhalb eines Jahres mehrfach durch neue ersetzt werden müssen. Bei guter Ernährung erzeugten Königinnen innerhalb des ersten Jahres im Mittel je 1/2 Million Arbeiterinnen! Nach einem Jahr war der Spermavorrat in den Receptacula um jeweils 1.7 Millionen verringert, so dass für jedes befruchtete Ei rechnerisch ca. 3.2 Spermien verbraucht wurden.
Die Berechnung wurde mit einer weiteren Methode ergänzt: Man ermittelte den Umsatz an Arbeiterinnen (worker turnover) pro Jahr in erwachsenen Kolonien, die von Jahr zu Jahr die gleiche Größe beibehalten (plus ein paar Tausend Jungköniginnen entlassen). Geburtsrate und Sterberate sind dann gleich. In einem Jahr wird die gesamte Arbeiterschaft 3.85 mal ersetzt! (Wie man so etwas feststellen kann, wird in dem Buch ausführlich beschrieben; hier würde eine genaue Darstellung zu umfangreich).
Eine Königin erzeugt in ihrem Leben (von durchschnittlich 6.8 Jahren) 2.64 Millionen Arbeiterinnen, wobei sie pro Arbeiterin aus ihrem Vorrat von 7 Millionen rechnerisch 2.64 Spermien verbraucht. Berücksichtigt man, dass auch ein Teil der Larven vorzeitig stirbt, und dass auch Spermien während der Speicherung absterben dürften, kommt man zu dem Schluss, dass tatsächlich kaum mehr als ein einziges Spermium für die Besamung jeden Eies aufgewendet wird! (Wie diese extrem sparsame Dosierung erreicht wird, etwa durch die Muskulatur des Spermaganges vom Receptaculum zum Eileiter, ist unbekannt).
Welche erstaunliche Leistung dahinter steht, wird im Vergleich deutlich: Der Mensch wendet mehrere hundert Millionen Spermien für eine erfolgreiche Befruchtung auf, ein Pferdehengst einige Milliarden!
Das Buch von W. Tschinkel ist eine schier unerschöpfliche Quelle solider Daten. Auch wenn sie fast nur die eine Art Solenopsis invicta betreffen, so erlauben sie doch auch Rückschlüsse auf und Vergleiche mit anderen Arten. Allein die Erkenntnisse zum Arbeiterinnen-Umsatz bedeuten ja, dass auch in der Haltung, abhängig von der Lebensdauer der Königinnen und der Arbeiterinnen verschiedener Arten, unter Umständen zahlreiche Todesfälle ganz normal sind, zumindest solange gleich viele oder mehr neue Arbeiterinnen aufgezogen werden!
Ich werde auf dieses Buch noch öfter zurückkommen.

MfG,
Merkur