Zwitter, "Gynander", "Gynandromorphe" bei Ameisen

Im alten Ameisenforum schlummern zahllose „Schätze“. Zum Teil sind die Bilder verschwunden, aus den „Archivbeiträgen“ von 2001-2005 bereits beim damaligen Besitzerwechsel. Hier findet sich ein Thread „Gynander von Polyergus“, über Ameisen mit teils männlichen- teils weiblichen Merkmalen:
http://www.ameisenforum.de/ameisenforum-2001-2005-archiv/22235-gynander-von-polyergus.html
Über derartige Ameisen (Gynander, Mosaikgynander etc.) wurde in einem älteren Thread im AF schon etwas berichtet; der ist aber nicht mehr aufzufinden.
"Ersie" wurde das Exemplar „getauft“, um das es hier geht, ein Halbseitenzwitter von Polyergus rufescens. Ersie entstand in einem Nest, das bei dem Einsender (G. H.) in der Nähe von Mainz im Garten lebte ("Freilandhaltung!").
Das Tier ist links männlich, rechts weiblich. Beide Seiten tragen Flügel. Hier der Blick auf die weibliche Seite.
Deutlich ist der Unterschied in der Form der Antennen erkennbar (Schaft bei der weiblichen Antenne gekrümmt und am Ende stärker verdickt, männlicher Fühler schwarz.
Der einsame Säbelkiefer rechts ist deutlich sichtbar. Ihm steht auf der männlichen Seite nichts Brauchbares gegenüber.
Die rote Hälfte des Kopfes ist die weibliche. Ob das Gehirn auch "getrenntgeschlechtlich" ist? Was geht in so einem Kopf wohl vor, angesichts eines anderen Weibchens oder Männchens? Was, wenn die männliche Seite auf die "bessere Hälfte" scharf ist, und "sie konnten zueinander nicht kommen"?
Die Unterschiede der Fühler sind hier besonders deutlich.
(Das Tier wurde für die Aufnahmen gekühlt und "im Aufwachen" fotografiert. Beim letzten Bild war es etwas zu viel: Exitus).
Post # 10 aus dem o. g. Thread enthielt zwei weitere Bilder:
Das Tier ist wurde nun in Alkohol fotografiert, mit einem Hintergrund, der die Farbunterschiede etwas betont.
Deutlich sieht man, dass das Tier nicht ganz symmetrisch gebaut ist. Die dickere weibliche Kopf“hälfte“ drängt die kleinere männliche etwas zur Seite, was besonders gut in der Ventralansicht (BILD 5) erkennbar wird. Auch die mehr rundliche, breitere weibliche Gaster verschiebt die schlankere männliche „Hälfte" etwas über die Mitte der Gaster hinaus.
In den Bildern 4 und 5 wurde der Kontrast gesteigert, um die Unterschiede zwischen den männlichen und weiblichen Teilen zu betonen.
Der männliche Fühler hat 13, der weibliche 12 Glieder (nur unter dem Mikroskop zu sehen).
Das Tier lief wegen der etwas längeren männlichen Beine im Kreis mit ca. 8-10 cm Durchmesser, rechts herum.
Zur Lebenserwartung solcher Gynander ist kaum etwas bekannt, meist landen sie rasch in Alkohol, bevor sie sterben und sich zersetzen könnten. Immerhin hat dieses Tier als Larve und Puppe fast ein Jahr durchgehalten.
Selbstbegattung kann es nicht geben, mit den halben männlichen Genitalanhängen kann man ebenso wenig was anfangen wie mit dem einsamen weiblichen Säbelkiefer vorn.
Über die inneren Organe solcher Tiere ist praktisch nichts bekannt. Sie treten doch zu selten auf als dass man einen Kandidaten mit den notwenigen Präparationen und histologischen Untersuchungen beauftragen könnte. Sollte ich wieder mal ein solches Exemplar in die Hand bekomme, werde ich möglichst versuchen, wenigstens präparativ die inneren Organe anzusehen.
Die männliche Seite ist haploid, die weibliche diploid. So etwas geschieht, wenn ein Ei sich kurz vor der Ablage zu furchen beginnt, und wenn bei der Ablage des Eies nur eine der beiden ersten Furchungszellen befruchtet wird.
Trotz der „superfiziellen“ Furchung der Insekteneier (der Kern teilt sich zuerst in viele Kerne im Inneren des Eiplasmas, die dann an die Zellwand gelangen und sich dort mit Membranen umhüllen) sind im Eiplasma Strukturen vorhanden, die bestimmte Kerne zu bestimmten Orten „geleiten“. Die beiden ersten Furchungskerne und ihre jeweiligen Tochterkerne sind somit dafür bestimmt, dass sie die rechte bzw. linke Körperhälfte bilden. Daher gibt es nur links-rechts-, aber keine vorn-hinten-Gynander. Wird allerdings erst im 4-Kern-Stadium eine der Zellen befruchtet, entsteht ein Männchen mit einem Viertel Weibchen, entweder links oder rechts vorn, oder entsprechend hinten. Solche Tiere trifft man ganz selten mal an.
Interessant ist, dass bei den Insekten also jede Zelle aufgrund ihrer Ploidie „weiß“, ob sie Teil eines männlichen oder weiblichen Organs wird. Anders als etwa bei Säugetieren spielen Hormone aus den Geschlechtsorganen in der Organausbildung keine Rolle.
Interessant ist weiterhin, dass auch Männchen-Arbeiterin-Gynander vorkommen. Das zeigt, dass die weiblichen Anteile auf die Kastendeterminations-Faktoren (i. w. Ernährung) reagieren, während Männchen auch unter den Bedingungen entstehen können, die weibliche Larven zu Arbeiterinnen determinieren.
So kompliziert, aber auch so spannend, kann wissenschaftliche Biologie sein!
Ich nutze diesen Beitrag auch, um auf solche seltenen Exemplare aufmerksam zu machen. Wer Derartiges entdeckt, sollte es hier posten, so dass man Kontakt aufnehmen kann. Informationen über die inneren Organe von Halbseitenzwittern fehlen nach wie vor!
MfG,
Merkur
Hier gehts zur Diskussion
http://www.ameisenforum.de/ameisenforum-2001-2005-archiv/22235-gynander-von-polyergus.html
Über derartige Ameisen (Gynander, Mosaikgynander etc.) wurde in einem älteren Thread im AF schon etwas berichtet; der ist aber nicht mehr aufzufinden.
"Ersie" wurde das Exemplar „getauft“, um das es hier geht, ein Halbseitenzwitter von Polyergus rufescens. Ersie entstand in einem Nest, das bei dem Einsender (G. H.) in der Nähe von Mainz im Garten lebte ("Freilandhaltung!").
Das Tier ist links männlich, rechts weiblich. Beide Seiten tragen Flügel. Hier der Blick auf die weibliche Seite.
Deutlich ist der Unterschied in der Form der Antennen erkennbar (Schaft bei der weiblichen Antenne gekrümmt und am Ende stärker verdickt, männlicher Fühler schwarz.
Der einsame Säbelkiefer rechts ist deutlich sichtbar. Ihm steht auf der männlichen Seite nichts Brauchbares gegenüber.
Die rote Hälfte des Kopfes ist die weibliche. Ob das Gehirn auch "getrenntgeschlechtlich" ist? Was geht in so einem Kopf wohl vor, angesichts eines anderen Weibchens oder Männchens? Was, wenn die männliche Seite auf die "bessere Hälfte" scharf ist, und "sie konnten zueinander nicht kommen"?
Die Unterschiede der Fühler sind hier besonders deutlich.
(Das Tier wurde für die Aufnahmen gekühlt und "im Aufwachen" fotografiert. Beim letzten Bild war es etwas zu viel: Exitus).
Post # 10 aus dem o. g. Thread enthielt zwei weitere Bilder:
Das Tier ist wurde nun in Alkohol fotografiert, mit einem Hintergrund, der die Farbunterschiede etwas betont.
Deutlich sieht man, dass das Tier nicht ganz symmetrisch gebaut ist. Die dickere weibliche Kopf“hälfte“ drängt die kleinere männliche etwas zur Seite, was besonders gut in der Ventralansicht (BILD 5) erkennbar wird. Auch die mehr rundliche, breitere weibliche Gaster verschiebt die schlankere männliche „Hälfte" etwas über die Mitte der Gaster hinaus.
In den Bildern 4 und 5 wurde der Kontrast gesteigert, um die Unterschiede zwischen den männlichen und weiblichen Teilen zu betonen.
Der männliche Fühler hat 13, der weibliche 12 Glieder (nur unter dem Mikroskop zu sehen).
Das Tier lief wegen der etwas längeren männlichen Beine im Kreis mit ca. 8-10 cm Durchmesser, rechts herum.
Zur Lebenserwartung solcher Gynander ist kaum etwas bekannt, meist landen sie rasch in Alkohol, bevor sie sterben und sich zersetzen könnten. Immerhin hat dieses Tier als Larve und Puppe fast ein Jahr durchgehalten.
Selbstbegattung kann es nicht geben, mit den halben männlichen Genitalanhängen kann man ebenso wenig was anfangen wie mit dem einsamen weiblichen Säbelkiefer vorn.
Über die inneren Organe solcher Tiere ist praktisch nichts bekannt. Sie treten doch zu selten auf als dass man einen Kandidaten mit den notwenigen Präparationen und histologischen Untersuchungen beauftragen könnte. Sollte ich wieder mal ein solches Exemplar in die Hand bekomme, werde ich möglichst versuchen, wenigstens präparativ die inneren Organe anzusehen.
Die männliche Seite ist haploid, die weibliche diploid. So etwas geschieht, wenn ein Ei sich kurz vor der Ablage zu furchen beginnt, und wenn bei der Ablage des Eies nur eine der beiden ersten Furchungszellen befruchtet wird.
Trotz der „superfiziellen“ Furchung der Insekteneier (der Kern teilt sich zuerst in viele Kerne im Inneren des Eiplasmas, die dann an die Zellwand gelangen und sich dort mit Membranen umhüllen) sind im Eiplasma Strukturen vorhanden, die bestimmte Kerne zu bestimmten Orten „geleiten“. Die beiden ersten Furchungskerne und ihre jeweiligen Tochterkerne sind somit dafür bestimmt, dass sie die rechte bzw. linke Körperhälfte bilden. Daher gibt es nur links-rechts-, aber keine vorn-hinten-Gynander. Wird allerdings erst im 4-Kern-Stadium eine der Zellen befruchtet, entsteht ein Männchen mit einem Viertel Weibchen, entweder links oder rechts vorn, oder entsprechend hinten. Solche Tiere trifft man ganz selten mal an.
Interessant ist, dass bei den Insekten also jede Zelle aufgrund ihrer Ploidie „weiß“, ob sie Teil eines männlichen oder weiblichen Organs wird. Anders als etwa bei Säugetieren spielen Hormone aus den Geschlechtsorganen in der Organausbildung keine Rolle.
Interessant ist weiterhin, dass auch Männchen-Arbeiterin-Gynander vorkommen. Das zeigt, dass die weiblichen Anteile auf die Kastendeterminations-Faktoren (i. w. Ernährung) reagieren, während Männchen auch unter den Bedingungen entstehen können, die weibliche Larven zu Arbeiterinnen determinieren.
So kompliziert, aber auch so spannend, kann wissenschaftliche Biologie sein!

Ich nutze diesen Beitrag auch, um auf solche seltenen Exemplare aufmerksam zu machen. Wer Derartiges entdeckt, sollte es hier posten, so dass man Kontakt aufnehmen kann. Informationen über die inneren Organe von Halbseitenzwittern fehlen nach wie vor!
MfG,
Merkur
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