Fliegen binden…
Weihnachten hinterlässt seine Spuren, und bis ich das hier vorgestellte Buch geschenkt bekam, hatte ich bei „
Fliegen binden“ nur an die Propeller gedacht, die man sich anstatt Krawatte unters Kinn klemmen kann.
Doch hier geht es um Fliegen, die als Köder für eine bestimmte Form des Angelns hergestellt und verwendet werden, das „
Fliegenfischen“.
(Nebenbei: Kaum hatte ich mich bei Wikipedia über diesen Sport schlau gemacht, hat mir Google jede Menge Angebote für Fliegenfischer-Kurse, Spezialangeln zu atemraubenden Preisen, Zubehör, Wathosen usw. unterbreitet.

)
Zur Einführung genügt vielleicht das Bild, samt dem Text auf dem Umschlag:

- Erschienen 2018, € 22.99
Es geht also um das „Binden“ solcher Köder unter Verwendung von Vogelfedern, das sich irgendwann zu einem Hobby entwickelt hat, mit Spezialshops für alles mögliche Zubehör, Materialien, Internet-Seiten, Foren, internationalen Symposien und Wettbewerben. Man hat den ursprünglichen Zweck der Köder weit hinter sich gelassen; sie wurden viel zu kompliziert, aufwändig und teuer, wurden schließlich als Kunstwerke deklariert.
Das auffälligste Material waren Vogelfedern, möglichst bunt, von möglichst exotischen Vögeln, wobei sich auch rasch ein Schwarzmarkt für Federn und ganze Bälge (fast) ausgestorbener und geschützter (CITES!) Arten entwickelt hat. Die Preise gingen durch die Decke.
Das Buch spielt in der jüngsten Zeit, handelt von einem zunächst rätselhaften Einbruch im Juni 2009 in eine Abteilung des British Museum, bei dem gegen 300 Vogelbälge, u. a. von Paradiesvögeln und Quetzals, aus dem Magazin gestohlen wurden, von einem fanatischen "Fliegenbinder". In dem Buch geht es um Hintergründe (um nicht zu sagen „Abgründe“), und um die jahrelange (bis 2016) Aufklärung und Jagd nach den gestohlenen Bälgen und Federn.
Für den Biologen besonders interessant sind die Anfangskapitel: Vieles, das man im Bio-Studium so nebenbei mitbekommt, wird hier knapp und treffend wiedergegeben, und das in einem spannenden, sehr guten Stil. So erfahren wir Genaueres über
Alfred Russel Wallace, bekannt als „Konkurrent“ von
Charles Darwin, der im 19. Jh. vor allem in der südostasiatischen Inselwelt anhand tropischer Vögel parallel zu Darwin die
Evolutionstheorie entwickelt hatte. Aus seinen Belegsammlungen stammte ein Teil der geraubten, für die Wissenschaft unersetzbar wertvollen Vogelbälge. Sie wurden verkauft zum Teil zerrupft, Federbüschel einzeln verhökert, um noch mehr Gewinn zu ziehen. Ganze Bälge erzielten Preise, die mit denen von
Myrmecia-Gynen vergleichbar waren…

- Aus einer der Bilderseiten
Aber man bekommt auch Einblick in eine Zeit, von der wir nicht mehr viel wissen: Bereits um 1700 wurden Vogelfedern in riesigem Umfang zur Verzierung von Kleidungsstücken und Hüten, als
Modeartikel, verwendet! Man liest haarsträubende Zahlen über den Verbrauch von Wildvögeln in der viktorianischen Epoche. Es war eine ganze Industrie: Ende des 19. Jh. importierte allein Frankreich 45.000 Tonnen (!) Federn; in London wurden in Auktionen
155.000 Paradiesvögel verkauft. Um 1900 waren in New York 83.000 Menschen im (Feder-) Hutmachergewerbe tätig, dem jährlich (!) in Nordamerika ca.
zweihundert Millionen Vögel zum Opfer fielen. Nur Diamanten waren zu dieser Zeit wertvoller als Vogelfedern. Usw., lest selbst! - Mir war der Umfang dieses Missbrauchs von Natur und wild lebenden Tieren nicht bekannt, obwohl ich in meiner Jugendzeit noch Federboas und Straußenfeder-Fächer erlebt habe.
Das Buch ist bestens recherchiert, mit zahlreichen Quellenangaben. Passend auch, dass Handelsverbote (in USA um 1900) auf Widerstand bei den Händler-Organisationen stießen, mit Hinweis u.a. auf den Verlust von Arbeitsplätzen.
„Diese Federleute kämpfen mit der gleichen Bösartigkeit für ihr schändliches Gewerbe wie früher die Sklavenhändler“ (so ein prominenter Naturforscher in der New York Times).
Ich habe das Buch nicht gerade mit Freude, aber mit viel Interesse gelesen. Enttäuschend (aber leider ebenfalls realistisch) ist am Ende, wie Justiz und Naturschutzbehörden mit dem Fall umgegangen sind, und mit welcher Gedankenlosigkeit man sich an Naturschätzen vergreift.
- Ich hoffe, dass der eine oder andere Naturliebhaber in den Ameisenforen mal reinschaut; Bücher kann man ja auch in öffentlichen Bibliotheken einsehen und ausleihen.

MfG,
Merkur