„Die Ameisen Europas“ - Erste Eindrücke und Empfehlung
Die vier Autoren sind mir sämtlich aus der Literatur als kompetente Ameisenwissenschaftler bekannt. Das Buch ist nun eingetroffen,es ist sehr gut aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt,
und mein Eindruck ist recht positiv!
Beim ersten Durchblättern fällt auf, dass es
kein Literaturverzeichnis gibt. Doch dafür interessieren sich Laien üblicherweise nicht. Der Fachmann wird weiterhin nicht umhin kommen, die zugrunde liegende Literatur dem Buch von Seifert (2018) zu entnehmen, oder sich im Internet, z. B. AntWiki, zu informieren. - Das kann man zuhause tun; im Gelände nützen die Zitate nicht viel, und das Buch ist durchaus geeignet, auch bei der Suche nach Ameisen im Freiland mitgeführt zu werden (Gute Lupe nicht vergessen!). Auch für die Zuordnung von (brauchbaren) Bildern in den Foren ist das Buch ganz sicher hilfreich.
Sehr dankbar bin ich, dass (wie bei Seifert 2018) die von Ward et al. 2014 geschlachteten vier Sozalparasiten-Gattungen im Text beibehalten werden, wobei man die Begründung schon in der Einleitung (S. 8) lesen kann. (Weniger verständlich finde ich, dass in der Tabelle auf derselben Seite diese Gattungen weggelassen sind).
Die bei Seifert (2018) als parasitische Gattung
Symbiomyrma beibehaltene Gruppe wird bei Lebas et al. in
Myrmica eingegliedert.
Nicht gut finde ich, dass Lebas et al. die
Ameisenmännchen als Kaste bezeichnen, neben Arbeiterinnen und Königinnen (z. B. S. 12: Sozialstruktur und Fortpflanzungszyklus). Der Teufel steckt im Detail:
„Jede Ameisenart weist drei Typen von Kasten auf: Arbeiterin, Königin und Männchen“: Bei arbeiterinlosen Inquilinen gibt es die Arbeiterinnenkaste eben nicht. Und wie nennt man die verschiedenen Morphen der Männchen etwa bei
Cardiocondyla? Ganz abgesehen von der Frage, ob man Männchen und Weibchen bei normalen Tieren sowie beim Menschen dann auch als die zwei Kasten bezeichnen soll?
Zum
Thema der Kastendefinitionen ist weiterhin anzumerken, dass eine Vermischung der morphologisch begründeten Kasten mit deren Funktion leider zu der üblichen Verwirrung führt:
-S. 282
Harpagoxenus sublaevis: „
In Westeuropa sind die meisten Königinnen ungeflügelt und ähneln Arbeiterinnen; nur ein kleiner Teil ist geflügelt.“
-S. 307
Myrmecina graminicola: „
Einige Kolonien mit Interkasten-Königinnen (Zwischenform zwischen Königin und Arbeiterin) sind polygyn“.
„Interkasten“ sind Exemplare mit Gestalt-Merkmalen von Arbeiterin und ge- bzw. entflügelter Königin. Zwischen Sterilität (übliche Arbeiterin, Soldat) und Fertilität (begattet, Eier legend) gibt es keine sinnvolle Zwischenform.
Sinnvoller ist es, die
fertilen Individuen als Königinnen zu bezeichnen, unabhängig von ihrer Gestalt. Sowohl bei
H. sublaevis als auch bei
Myrmecina graminicola (und zumindest einigen der verwandten Arten) kommen neben ge-/ bzw. entflügelten Königinnen (gynomorphe K.) auch gestaltlich intermediäre (intermorphe K.) vor. - Bei
M. graminicola sind gibt es Völker mit einer oder mehreren intermorphen Königinnen, während Völker mit einer gynomorphen Königin immer monogyn sind.
Ich habe natürlich zuerst auf die Beispiele gesehen, über die ich selbst intensiv gearbeitet habe. Wenn ich das Buch sorgfältig gelesen habe, werde ich voraussichtlich weiter berichten.
Das Inhaltsverzeichnis kopiere ich hier ein:

- Lebas et al. 2019: Inhaltsverzeichnis
- Das Glossar (nur 2 Seiten) ist m. E. viel zu knapp.
- Bei den recht guten Farbfotos vermisse ich zumeist einen Maßstab (Größen der Tiere sind unter „Taxonomie“ angegeben). S. 326 wird eine unzweifelhafte Gyne (Königin) als „
Myrmica- karavajevi-
Arbeiterin“ bezeichnet, wobei es sich um eine völlig arbeiterinlose inquiline Art handelt, die bei Seifert in der Gattung
Sifolinia steht (s. o.).
- Hilfreich sind die Verbreitungskarten.
- Schwarmflugdaten werden bei den näher behandelten Arten einer Gruppe graphisch dargestellt (was die diversen Schwarmflugtabellen in den Foren weitgehend überflüssig macht; sie sind ohnehin wenig zuverlässig; in dem Buch wird auch nicht detailliert auf die in verschiedenen Höhen und Klimaten unterschiedlichen Flugzeiten verwiesen).
- Der "Index der Arten" erscheint nach ersten Stichproben einwandfrei.
So viel im Moment. Ich hoffe, noch weitere Ergänzungen liefern zu können.
Insgesamt ist das Buch auf jeden Fall zu empfehlen, ganz besonders für Ameisen-Interessierte, die mit dem Englischen des Seifert (2018) Schwierigkeiten haben. Auch werden zahlreiche Arten aus Südeuropa vorgestellt, die in Seiferts Buch über die Ameisen von Mittel- und Nordeuropa nicht behandelt werden.
MfG,
Merkur