"Camponotus cruentatus asper" - ein rätselhaftes Taxon

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"Camponotus cruentatus asper" - ein rätselhaftes Taxon

Beitragvon Benni » Donnerstag 18. August 2022, 16:40

Camponotus cruentatus asper Menozzi, 1925 ist neben der Nominatform derzeit die einzige Unterart von C. cruentatus. Der Name ist aktuell eine valide und anerkannte Subspezies, welche sich auf antcat, antwiki & antweb sowie auch auf GBIF & Co. problemlos finden lässt. Daraus folgt, dass alle europäischen und nordafrikanischen C. cruentatus Kolonien eigentlich vollständig als Camponotus cruentatus cruentatus (Latreille, 1802) heißen.

Die Unterart wurde 1925 von Carlo Menozzi anhand von vier Arbeiterinnen als die Varietät Camponotus cruentatus var. aspera wissenschaftlich beschrieben und seitdem auch nicht erneut entdeckt. Dank ICZN 45.6.4 hat die Varietät mittlerweile den Status einer Unterart und das Unterartepitheton wird als Adjektiv in der maskulinen Form verwendet. Die vier Arbeiterinnen hat Menozzi in der Sammlung des Deutschen Entomologischen Instituts gefunden. Gesammelt wurden sie den Labels zufolge 1922 von Camillo Schaufuß in Melbourne, Australien. Dieser Fundort liegt in großer Distanz zum Verbreitungsgebiet der Nominatform, welche ausschließlich in Südwesteuropa sowie im Maghreb vorkommt.

Menozzi schreibt selbst, dass sein Hauptgrund den Exemplaren einen eigenen Namen zu geben, der außergewöhnliche Fundort war. Dennoch liefert er auch eine kurze morphologische Abgrenzung, die allerdings, wie für die Zeit nicht untypisch, nur relativ grob ausfällt: Als morphologisches Hauptunterscheidungsmerkmal nennt Menozzi die Mandibeln, welche bei C. c. asper durch eine dichte Skulptur und Punktierung rauer als bei der Nominatform sein sollen, worauf auch das Unterartepitheton „asper“ verweist. Zusätzlich sei der gesamte Körper dorsal (besonders in der distalen Hälfe) stärker skulptiert als bei der Nominatform.

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Camponotus cruentatus asper - Mandibelbeschaffenheit (© 2022 California Academy of Sciences)

Zur visuellen Veranschaulichung der morphologischen Unterschiede habe ich mir antweb zur Hilfe geholt. Dort sind seit 2016 drei der vier Syntypen mit Bildern aus der DEI-Sammlung hochgeladen. Tatsächlich sind die Mandibeln der drei Exemplare einigermaßen dicht punktiert, jedoch konnte ich keinen signifikanten Unterschied zu Proben der Nominatform feststellen. Die Nominatform zeigt eine recht große phänotypische Variabilität in Bezug auf die Färbung (Cagniant (1991)), welche sich auch in der (Mandibel-)skluptur zu zeigen scheint. So konnte ich sowohl Individuen mit einer (im Verhältnis zu C. c. asper) schwächeren Mandibelskluptur (siehe z.B. CASENT0911764) als auch Individuen mit einer stärkeren Mandibelskulptur finden (siehe z.B. CASENT0906990). Auch bei der Thorax- und Abdomenbeschaffenheit sind mir keine signifikanten Unterschiede aufgefallen.

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Camponotus cruentatus cruentatus - Mandibelbeschaffenheit (© 2022 California Academy of Sciences)

Basierend auf der (scheinbaren) Abwesenheit morphologischer Unterschiede halte ich den Unterartstatus der Art für anzweifelbar. Auch der Fakt, dass bis auf die vier Syntypen nie weitere Exemplare im faunistisch doch recht gut studierten Melbourne (Victoria) gefunden wurden, lässt mich stutzen. Zudem sind keine weiteren Myrmosericus spp. vom australischen Knotinent bekannt. Aus meiner Sicht dürfte es sich hier um eine einmalige Invasion gehandelt haben, für den Fund reicht schon eine einzige Königin/Kolonie, die mit Frachtschiffen von Europa nach Melbourne gelangt ist. Alternativ wäre auch denkbar, dass schlichtweg Lokalitätslabel vertauscht wurden (wäre auch nicht das erste Mal ;)). Diese sind, wie auf den antweb-Bildern zu sehen, separat und sowohl C. Schaufuß (wie sein Vater) als auch das DEI dürften wohl regelmäßig mit vielen Proben zu tun gehabt haben, sodass sich Fehler einschleichen können.

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Wer abgefallene Gaster falsch herum wieder anklebt, dem wäre vllt. auch das Vertauschen von Lokalitätslabels zuzutrauen ;) (© 2022 California Academy of Sciences)

Abschließend möchte ich noch auf eine letzte Kuriosität verweisen. Diese bezieht sich auf das von antmaps angegebene Verbreitungsgebiet dieser Art:
Was mich verwundert ist das neben Victoria als dem „heimischen“ Verbreitungsgebiet der Art, das brasilianische Sao Paulo mit „dubious“ angegeben wird. Als Quelle für diesen dubiosen Fund wird die Orginalbeschreibung von Menozzi angegeben, hier findet sich allerdings im Teil zu C. c. asper keine Erwähnung bzw. m. E. auch kein Hinweis eines möglichen Vorkommens in Sao Paulo, Brasilien oder generell Südamerika und ich habe keine Ahnung wie dieser immerhin als „dubious“ angegebene Fund zustande gekommen ist.

Screenshot 2022-08-18 172447.png

Ganz witzig ist auch noch die Übersetzung von Menozzis Originalbeschreibung auf antwiki im „Nomenclature“-Teil. Ich konnte keine Quelle finden und gehe daher davon aus, dass Shattuck hier wahrscheinlich selbst einen online-Übersetzer verwendet hat. Jedenfalls wird das Deutsche Entomologische Institut hier mit der Niederländischen Ostindien-Kompanie (?) und Nordafrika mit Nordamerika verwechselt, was für noch mehr Verwirrung sorgen dürfte.

Insgesamt ein sehr rätselhaftes Taxon, das (nach intensiverer Untersuchung der Syntypen) m. E. synonymisiert werden sollte - Unterarten sind in der modernen Myrmekologie ja ohnehin nicht gern gesehen ;)
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Benni
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