Hallo argus,
Zur Definitionsfrage: Die von uns verwendete Definition von (intraspezifischem) Sozialparasitismus ist nicht neu, sondern geht auf die Referenz: Nash D. R. & Boomsma J. J. 2008. Communication between hosts and Social Parasites. In Sociobiology of Communication: an Interdisciplinary Perspective (P. d’Ettorre & D. Hughes, eds.), chap. 4, pp 55-79. Oxford University Press, London. 346 p. zurück, welche an entsprechender Stelle zitiert wurde.
- Das Buch kenne ich in der Tat nicht. Würde darin aber auch keine Definition für (intraspezifischen) Sozialparasitismus erwarten. Aber meine Kritik richtet sich ja ganz allgemein gegen die unterschiedlichen Definitionen für ein- und denselben Begriff. Wie gesagt: Jeder hat das Recht, Fachbegriffe nach eigenem Geschmack und Bedarf zu deuten. Für Klarheit sorgt das leider nicht.
Demgegenüber erstaunt besonders das Verbreitungsbild von M. microrubra im Vergleich zu anderen, sicheren Inquilinen. Solche finden sich nach allen Erfahrungen des Verfassers fast immer nur in Bereichen mit genügend hoher Populationsdichte ihrer Wirtsart. Dazwischenliegende Populationen der Selbständigen Art mit geringerer Dichte sind frei von den Parasiten….
Es wird in der Folge erklärt!
> „… scheint auch [i]M. microrubra ausgesprochen selten, zerstreut und lokal eng begrenzt auf kleinste Räume vorzukommen, dies aber obwohl ihre Wirtsart
M. rubra eine der häufigsten und in dichten Populationen weitestverbreiteten Ameisen Mitteleuropas ist!“<[/i] Das ist wohl ungeschickt ausgedrückt: Die
microrubra-Vorkommen sind oft innerhalb großer, dichter Wirtspopulationen,
ohne sich darin auszubreiten. - Für mich „störend“ ist ferner der Eindruck, dass „
microrubra“ an einigen Stellen, die ich kenne und gelegentlich besuche, mal leicht zu finden ist, dann wieder über Jahre „fehlt“, und evtl. dann wieder da ist. – Bei den sonst von mir untersuchten (vielen!) Sozialparasiten kann ich mich darauf verlassen, dass ich an einem Fundort jederzeit wieder neues Material holen kann (falls nicht das Habitat gründlich verändert wurde).
– Und natürlich konnte der Beitrag nur meinen Kenntnisstand von 1997 wiedergeben, vor 17 Jahren. Ist aber im wesentlichen so geblieben…
Die Anwesenheit von entflügelten Mikrogynen hat die betroffenen, mit Makrogynen gemischten Nester geschwächt. Die Mikrogynen lebten also auf Kosten dieser nicht mit ihnen verwandten Makrogynen-Völker (was sie zu Parasiten macht)…
Ich gebe zu bedenken, dass durch eine „Krankheit“ im weitesten Sinn betroffene Individuen durchaus für „gesunde“ Koloniemitglieder eine Belastung sein können. Ob man solche Individuen/-gruppen als Parasiten auffasst, ist wiederum eine Angelegenheit der Interpretation resp. Definition. Mit „Erkrankung“ meine ich sowohl Genetische „Entgleisungen“, als auch durch Endoparasiten, Bakterien, Viren etc. ausgelöste verringerte Fitness, die hier durch Leistungen der „Wirte“ ausgeglichen werden kann. Nach
Wolbachia hat wohl noch niemand bei
microrubra gesucht? Es gibt Viren, die bei Waldameisen für die Entstehung der „Pseudogynen“ = „Sekretergaten“ verantwortlich gemacht werden. Gibt es andere, bisher unbekannte Erreger? – Wir wissen viel zu wenig darüber!
Meine Vermutung geht in Richtung einer Störung in der Morphendetermination (
Nicht: Kastendetermination! Kasten definiere ich nach der Funktion).
U. a. haben wir auch den
Karyotyp bei
rubra und
microrubra verglichen; er ist identisch, s.u..
Ein Verdacht war, dass rubra ehemals eine Chromosomenzahl-Verdopplung durchgemacht haben könnte, und dass
microrubra ein Atavismus, ein „Rückfall“ auf die ursprüngliche Chromosomenzahl, sein könnte.
„Was die reinen Mikrogynen-Kolonien angeht haben wir darauf hingewiesen dass zu unserer Überraschung einige dieser Nester in Abwesenheit von Wirten normale Mengen von Arbeiterinnen produziert haben.“
Was mir in meinem Material auffiel, war auch ein merklicher
Polymorphismus unter den Mikrogynen: Manche waren sehr klein und sogar intermorph (zwischen Arbeiterin und Gyne), gelegentlich mit nur einem Flügelpaar und reduziertem Thorax-Skelett. Auch das nicht seltene Auftreten von (scheinbar) normalen Arbeiterinnen mit drei voll entwickelten Ocellen gibt mir zu denken; siehe:
viewtopic.php?f=50&t=79&p=5235#p5235 Buschinger,A. (1997): Ist Myrmica microrubra eine sozialparasitische Ameise? in: Soziale Insekten, IUSSI-Tagung Graz 1997, p. 25, K. Crailsheim & A. Stabentheiner (Hrsg.):
In diesem Kongressvortrag (Nur abstract in dem Band enthalten) habe ich zwei Folien gezeigt, die ich mal hier einfüge:

- M.rubra, Mikrogynen-Versuche 1997
Die Abb. zeigt, dass in einem Aufzuchtversuch, Brut aus einem gemischten Nest, aber nur von
M. rubra-Arbeiterinnen aufgezogen, viele junge Gynen in der Größe intermediär zwischen
rubra und
microrubra waren. – Bei Sozialparasiten ist mir so etwas noch nie begegnet.
Die Tabelle enthält Daten zur Ovariolenzahl, zum Geschlechterverhältnis und zur Chromosomenzahl bei
rubra resp.
microrubra. Die Karyotypen müssten dringend mit mehr Material untersucht werden!
Schließlich erinnere ich mich noch an eine Beobachtung bei der Suche nach
microrubra: Bei Störung von Nestern (in Totholz, an einem warmen Apriltag) stürmten neben
rubra-Arbeiterinnen auch zahlreiche
microrubra-Gynen heraus und schienen das Nest verteidigen zu wollen. (Sie stechen übrigens fühlbar!) – Aber für einen Sozialparasiten wäre es ja ein merkwürdiges Verhalten, wenn überwinterte begattete und unbegattete Gynen, statt sich im Nest zu verbergen, zur Nestverteidigung antreten würden!
Ich habe mich immer nur „nebenher“ mit den
microrubra befasst, zum einen wegen der Ungewissheit, ob man sie überhaupt findet, zum anderen wegen der m. E. sehr ungewöhnlichen Befunde. Habe es daher auch nie gewagt, einen Kandidaten auf diese Sache anzusetzen….
Und natürlich gab es jede Menge andere Sozialparasiten-Themen.
Jedenfalls ist es
meine Meinung, dass das Problem längst noch nicht gelöst ist, und dass eine Etikettierung der
microrubra als „Sozialparasiten“ (in der „engeren Fassung“ des Begriffs) oder gar als „intraspezifische Sozialparasiten“ die Besonderheiten des Falles eher verschleiert als einer Lösung näher bringt! Nix für Ungut!
MfG,
Merkur