Reproduktionserfolg von Ameisenköniginnen, Reproduktionszahl "R", Generationen und GenerationswechselHier geht's mal wieder hauptsächlich um die sozialen Medien.
Die Frage danach,
wie vielen der schwärmenden Gynen eines Volkes bzw. einer Population die Koloniegründung gelingt, und wie viele letztlich zu Königinnen großer Völker werden, wird in den Ameisenforen immer wieder aufgeworfen. Zahlen werden „in den Raum geworfen“, aus dem Ärmel geschüttelt, doch niemand kann es genau beziffern.
Ein zeitnahes Beispiel:
„Ich sag mal, Lasius niger in der Haltung Gründen zu lassen, geht's ihnen deutlich besser als in der Natur. Ich möchte nicht wissen, von wievielen Tausenden die Gründung in der Natur schaffen, und wieviele nicht.“
Dabei ist alles ganz einfach: Wenn von jedem sich fortpflanzenden Individuum ein Nachkomme sich wiederum fortpflanzt, reicht das aus um die Populationsgröße konstant, gleich groß, zu halten!
Das heißt konkret: So lange jedes Ameisenvolk (monogyn, damit‘s übersichtlich bleibt) bis zum Ende seines oft viele Jahre dauernden Lebens
eine einzige „erfolgreiche“ Königin (und ein erfolgreiches Männchen) erzeugt hat, ändert sich nichts an der Häufigkeit der Art in ihrem jeweiligen Verbreitungsgebiet! Sämtliche weiteren Geschlechtstiere dürfen früher oder später Räubern, Parasiten und anderen Gegenspielern zum Opfer fallen (wozu auch die in der Ameisenhaltung verbrauchten Gynen und Völker gehören, da sie der Freilandpopulation i.d.R. nicht mehr zur Verfügung stehen).
Selbstverständlich ist diese „1“ ein statistischer, ein Durchschnittswert: Aus manchen Völkern werden mehrere, oder sogar viele Völker gegründet; entsprechend viele andere Völker bleiben ganz ohne reproduzierende Nachkommen. Das kann sich auch von Generation zu Generation ändern, wie man das z. B. von vielen Schadinsekten mit einjähriger oder noch kürzerer Generationenfolge kennt: In manchen Jahren sind solche Arten selten, in anderen Jahren vermehren sie sich explosionsartig: Man spricht von einer Schädlings-Gradation. Dann vermehren sich ihre Gegenspieler und drücken den Wert „1“ weit unter Null. Ein überlebender Restbestand kann sich unter günstigen Umständen rasch wieder zu einer Massenvermehrung aufschaukeln.
Nicht von ungefähr taucht dieser Wert „1“ im Zusammenhang mit unserer Corona-Pandemie auf!Unter dem "R-Wert" wird die "Reproduktionszahl R" verstanden (auch, und eigentlich besser, „Reinfektionszahl“). Sie beschreibt, wie viele Menschen eine infizierte Person im Mittel ansteckt. Ist der Wert ein wenig über 1, wächst die Anzahl der Infizierten, und auf längere Sicht nimmt ihre Zahl exponentiell zu. Bleibt der Wert unter 1, geht die Zahl der Infizierten zurück, und wenn das anhält, nähert man sich allmählich („asymptotisch“) dem Wert 0: dann wäre das Virus ausgestorben! (Leider wird man noch lange zu kämpfen haben, bis der R-Wert wenigstens nahe an die Null herankommt; ganz aussterben wird das Virus nicht).
Zur Verdeutlichung: Ein „Reproduktionswert“ von 1,0 bei
Homo sapiens würde bedeuten, dass statistisch jedes Paar in seinem Leben genau zwei Kinder haben müsste, die ihrerseits wieder zusammen mit Partner je zwei Kinder produzieren müssten. Da unter natürliche Bedingungen nicht alle Nachkommen bis zur Geschlechtsreife gelangen, vorzeitig Erkrankungen zum Opfer fallen, intraspezifischen Auseinandersetzungen (Krieg, Verbrechen), Seuchen, Unfällen, Naturkatastrophen, oder (in früheren Zeiten häufiger) räuberischen Tieren, muss die durchschnittliche Zahl der Geburten und der erfolgreich aufgezogenen Kinder über zwei pro Paar liegen, um die Populationsgröße gleich zu halten.
Frau
Homo sapiens kann von Natur aus auch 10 und mehr Kinder gebären (das gab es in den Generationen unserer Eltern, Großeltern usw. durchaus!).
Nun ist der Mensch das einzige Lebewesen, das bewusst versucht, jedes geborene Kind am Leben zu erhalten (Abtreibungs-Verbote wollen bereits ab der Befruchtung das Überleben sichern). Dank zunehmend besserer Nahrungsversorgung und vor allem medizinischer Fortschritte gelingt das immer besser, mit der Folge, dass der R-Wert zunimmt, und damit die Gesamt-Bevölkerung der Erde (in meiner Eltern-Generation gab es ca. 2 Milliarden Menschen auf der Erde; jetzt nähern wir uns den 8 Milliarden). Die bewusste Beschränkung auf im Mittel weniger als zwei Kinder pro Paar ist eine Erscheinung v. a. in hoch entwickelten Ländern, wo z. B. wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle spielen).
Im Zusammenhang dieser Erörterung ist wiederholt von
Generationen die Rede. Auch dazu will ich ein paar Bemerkungen anbringen, da man auch zu diesem Thema oft auf unklare Vorstellungen stößt.
So liest man immer wieder von Ameisenvölkern, die im Lauf des Sommers
zwei oder drei Generationen von Arbeiterinnen aufziehen.
Das ist falsch:Sämtliche Arbeiterinnen und Geschlechtstiere, die in einem monogynen Volk, also von der einen, einmal begatteten Königin, hervorgebracht werden, gehören
einer einzigen Generation an, ihrer „Tochtergeneration“ (wiss.: Filialgeneration, F1, von lat. filia, filius = Tochter, Sohn; vgl. „Filialen“ von Unternehmen). Erst deren Nachkommen , die F2, sind eine neue, die Enkelgeneration!
Zur Verdeutlichung: Beim Menschen spricht man von der Elterngeneration, der Generation der Kinder, der Enkel usw.; ein erstes Kind und ein zehn Jahre später geborenes zweites Kind gehören nicht zwei Generationen an, sondern beide der F1. Und eine
Lasius niger-Königin erzeugt Pygmäen als erste Arbeiterinnen, später normale Arbeiterinnen, und das über Jahre hinweg: Sie alle gehören der F1, der Tochtergeneration an, ebenso wie alle Gynen und Männchen, die sie über ihre Lebenszeit hinweg erzeugt! Erst wenn von dieser Königin produzierte junge Gynen ihrerseits nach der Paarung wieder Nachkommen erzeugen, stellen diese die nächste Generation, die F2 dar.
Für die sämtlichen Nachkommen einer Königin, die ja oft in „Schüben“ aufwachsen, gilt, dass sie derselben Generation angehören (im Englischen spricht man von brood batch, dt. „Schub“ oder „Schwung“). - Nur wenn Arbeiterinnen Eier ablegen, aus denen Männchen entstehen, gehören diese zur F2, sind also bereits eine Enkelgeneration der Königin).
(Wenn man sich vorstellt, dass junge Gynen (F1) aus einer der ersten Bruten einer Königin nach drei Jahren bereits F2-Gynen erzeugen, und diese nach weiteren drei Jahren F3-Gynen, können diese Urenkelinnen unter Umständen von Männchen der F1-Generation begattet werden, also Söhnen der ursprünglichen Königin. Dann entstehen ganz merkwürdige Verwandtschaftsverhältnisse: Ein Sohn der Stammkönigin verpaart mit einer ihrer Urenkelinnen, usw.

) - Die Stammkönigin kann ja über 15 oder 20 Jahre Jungköniginnen und Männchen als Nachwuchs haben!)
Generationswechsel ist in diesem Zusammenhang ein weiterer Begriff, der gerne mit
Generationenwechsel verwechselt wird. Man liest öfter, dass z. B. in einer Firma ein „Generationswechsel“ erfolgt, wenn der Vater dem Sohn die Leitung des Unternehmens übergibt.
Was ist der Fehler?Die Inhaber wechseln gewiss nicht ihren Fortpflanzungsmodus. Es ist ein Wechsel der Generationen, von der Eltern- zur Tochtergeneration, also ein „Generation
enwechsel“.
Generationswechsel hingegen ist ein Wechsel in der Form der Erzeugung der Nachkommen („generieren“ = erzeugen). Bei Tieren (und Pflanzen) kann es regelmäßige Wechsel zwischen zweigeschlechtlicher Erzeugung von Nachkommen (bisexuelle Fortpflanzung) und eingeschlechtlicher (parthenogenetischer) Fortpflanzung geben. Solche Generationswechsel sind z. B. bei vielen Blattlausarten bekannt: Eine aus Männchen und Weibchen bestehende Generation produziert aus befruchteten Eiern ausschließlich Weibchen. Diese wachsen heran und gebären ausschließlich weitere weibliche Jungtiere (es werden keine Eier abgelegt; die Jungtiere entwickeln sich aus unbefruchteten Eizellen im Körper der Mutter und werden als lebende Junglarven geboren). Weitere solche eingeschlechtliche (weibliche) Generationen schließen sich an (was oft zu einer raschen Massenvermehrung von Blattläusen führt), bis z. B. im Herbst, ebenfalls parthenogenetisch erzeugt, eine Generation von Weibchen UND Männchen entsteht. Diese verpaaren sich, und die Weibchen legen befruchtete Eier, die (in diesem Beispiel) dann den Winter überstehen. Im Frühjahr schlüpfen aus den Eiern wiederum nur Weibchen, die sich parthenogenetisch fortpflanzen, usw..
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass es sich bei den beiden Möglichkeiten, zweigeschlechtliche und eingeschlechtliche Fortpflanzung, um die Entstehung von Nachkommen aus Keimzellen handelt, also Eizellen und ggf. Spermazellen.
Eine dritte Möglichkeit der Fortpflanzung ist
die ungeschlechtliche, bei der keine Keimzellen beteiligt sind: Es sind Formen der „Knospung“ (z. B. bei Hydrozoa, Polypen, oder Teilung eines Körpers bei manchen Polychaeten etc.). Dabei sind nur normale (somatische) Körperzellen beteiligt. Bei Pflanzen kommt das öfter vor, was man z. B. bei der Ablegerbildung nutzt, oder bei der Vermehrung von Kartoffeln über Speicherknollen.
Diese Ausführungen und Zusammenhänge sind mit grundlegenden Kenntnissen der Biologie im Prinzip leicht nachvollziehbar und logisch. Oft habe ich jedoch den Eindruck, dass selbst professionelle Biologen sich dieser Tatsachen nicht immer bewusst sind. Zumindest kann ich mich nicht erinnern, jemals ausdrücklich gehört oder gelesen zu haben, dass eine Population konstant bleibt, wenn die Reproduktionszahl im Mittel über Generationen „1,0“ beträgt.
Das oft zitierte „
biologische Gleichgewicht“ ist ein dynamisches, ein „Fließgleichgewicht“: Es besteht, so lange sich Zuwachs und Verlust bei allen beteiligten Arten die Waage halten. Scheinbar geringfügige Änderungen, etwa in der Zahl der „erfolgreichen“ Nachkommen der Species x (Reproduktionszahl steigt z. B. auf 1,02) führt zu Änderungen im „R“ bei deren Räubern y (deren „R“ steigt ebenfalls), bis das „R“ von x dank Räuberdruck wieder zurückgeht, was das „R“ der Räuber durch Ressourcenverknappung wieder verringert, usw.
Ein Beispiel, über das man nachdenken kann: Eine Eiche produziert jährlich einige Tausend Eicheln, und das über evtl. 300 Jahre. Die Zahl der Eichen in einem stabilen Wald bleibt dennoch über Jahrhunderte die gleiche: Wenige Alteichen sterben, und nur deren Platz wird durch junge ersetzt. Von den Millionen potenziellen Nachkommen eines Baumes hat gerade mal
einer die Chance, zu einem reproduzierenden Baum heranzuwachsen, „R“ = 1,0 ! Den Rest fressen die Wildschweine, Eichelhäher, oder die Rüsselkäferlarven in den Eicheln, oder die Sämlinge verkümmern im Schatten der Altbäume.
- Ein langer Text, aber kürzer lassen sich solche Überlegungen nicht verständlich darstellen, und ohne bekannte Beispiele bleiben sie unanschaulich.
MfG,
Merkur