@ Serafine,
„Glücklicherweise sind die Amerikaner da konsequent und machen Nägel mit Köpfen, das Problem löst sich von selbst. Bei den Hummeln gab es auch viel Geschrei und letztlich sind die Sozialparasiten doch alle in der Gattung Bombus gelandet.“
Ja klar, alles was aus Amerika kommt ist natürlich besser als das was Wissenschaftler im unwichtigen Rest der Welt produzieren. Das ist bekanntlich alles
„KRAMPF“ sensu Serafine. Das
Bombus-Psithyrus-Problem wurde über Jahrzehnte diskutiert. Ob der momentan favorisierte Status „endgültig“ sein wird, wer weiß?
Sie persönlich, Serafine, dürfen gerne glauben, was Sie für richtig halten. Es ändert auch nichts an dem, was in der Wissenschaft vorgeht.
Ich spreche Ihnen jedoch ganz deutlich das Recht ab, kategorisch und mit rüden Worten zu verbreiten, dass Wissenschaftler, die Ihre „Meinung“ nicht teilen, „Krampf“ publizieren.Es ist traurig genug, dass man Ihnen im AF solche pauschalen Diffamierungen und Beleidigungen durchgehen lässt,
zumal von Ihrer Seite immer wieder höchst eigenwillige Falschangaben kommen.
Ich erinnere an Ihre Behauptung (26. Jan. 2019):
„Gut, abgesehen vom Waldhonig, der ja oft tatsächlich zu 70-80% aus Honigtau besteht, der stammt aber oft aus Tannenwäldern und da stellt sich dann wiederum die Frage welche Ameisen denn tatsächlich auf harzigen Korniferensaft stehen“
https://www.ameisenforum.de/zuckerwasse ... ml#p420084 Auch im Waldhonig ist nun mal absolut kein Harz.
Oder an Ihre Belehrung im DASW-Forum (28. Juni 2018)
„Formica und Lasius lassen sich anhand des ersten Gasterglieds ganz gut unterscheiden. Bei Lasius ist der Gaster aus einem Stück, bei Formica dagegen ist das erste Glied normalerweise abgesetzt….“
- wo ich Ihnen auf die Sprünge helfen musste:
„Serafine, was Sie rot eingekringelt haben, ist die Schuppe, = Petiolus, sieht bei allen Formicinen so ähnlich aus.“ (Ihre Bilder dazu haben Sie ja leider gelöscht).
Die Ameisenhalter, oft Schüler, und selten biologisch versierte Personen, haben es nicht verdient, derartig falsch informiert zu werden, oder??
Zum Thema „monophyletische Kladen“:B. Seifert hat dazu im Dezember einen Vortrag gehalten. Die 45 Folien daraus liegen mir vor; ich kann sie hier nicht alle wiedergeben. Aber ich erlaube mir, mal einige Sätze daraus zu zitieren,
die vielleicht (?) auch Ihren Horizont etwas erweitern können.
In ((..)) ein paar nötige Einfügungen durch mich; sowie einige Hervorhebungen. - A. B..
Paul D. N. Hebert, der Propagandist des Barcoding, hat sich 2003 auf eindimensionale Wahrnehmung als Leitsystem für die Biosystematik festgelegt ((er ist Kanadier)) (
https://en.wikipedia.org/wiki/Paul_D._N._Hebert )
((das System ist auf der DNA in den Mitochondrien aufgebaut. Das ist...))
-- ein Bakteriengenom, das vor 2 Milliarden Jahren in die Zelle inkorporiert wurde und abgeschirmt von der äußeren Umwelt in einem relativ konstantem zellulären Mileu in uhrwerkähnlicher Weise vor sich hin mutiert.
-- das frei austauschbar mindestens zwischen verwandten Arten ist,
-- das nicht rekombiniert und immer als Block (ein Ringchromosom) vererbt wird,
--
das entkoppelt ist von jenen nuklearen Genen, die Arbeitsmaterial und Angriffspunkt der Evolution der Arten sind – z.B. Partnerfindung + Begattungsverhalten, funktionale Morphologie, Stoffwechsel, Ernährung, ökologische Nischenbildung, Feindabwehr…. –
Paul Heberts „Consortium for the Barcoding of Life“ (CBOL) und dessen nationale Ableger wurden bis heute weltweit mit mehr als 150 Millionen $ gefördert.
“Species-level paraphyly and polyphyly: frequency, causes, and consequences, with insights from animal mitochondrial DNA“ (Funk & Omland 2003)
“DNA Barcoding: Deus ex machina“ (Sperling 2003)
mtDNA-Paraphylien sind sehr häufig, ja geradezu Alltäglichkeiten. Mindestens 44% der australischen Vogelarten sind paraphyletisch. Bei Ameisen deutet sich ähnliches an. Würde man
Klassifikationen mittels mtDNA-Barcoding vornehmen, würden 5-25 % der Individuen einer Art anders determiniert als mittels nuDNA oder einer verifizierbaren Morphologie.
--
Der Kladismus kennt nur eine Betrachtungsebene. Er macht die zeitliche Sequenz kladogenetischer Aufspaltungen zum einzigen Kriterium für die Aufstellung taxonomischer Gruppen.
Eine weitere Dimension, das Ausmaß evolutiver Divergenz, die
Anagenese wird ausgeblendet.
Ein
Grundpostulat des Kladismus ist die Einschließlichkeitsforderung „Die Benennung taxonomischer Gruppen muss alle aus einer gemeinsamen Stammart entstandenen (= monophyletischen) Arten umfassen, die sich durch gemeinsame abgeleitete Merkmale (Synapomorphien) fassen lassen. Die Benennung para- bzw. polyphyletischer Gruppen ist unzulässig.“ ((Es ist ein "Postulat", eine willkürlich aufgestellte Forderung, kein Naturgesetz!))
–
Was bestimmt die evolutionäre Identität, das Οντος einer Art? Es wird bestimmt durch
die Gesamtheit der regulatorischen und kodierenden nuklearen Gene oder deren Expressionsprodukte. Je höher die Korrelation der Expressionsprodukte mit der nuDNA ist (oder je weniger sie durch Epigenetik oder äussere Umwelt modifiziert werden), desto grösser ist ihr taxonomischer Wert.
Diese Korrelationen sind:
- am höchsten bei Proteinsequenzen
- sehr hoch bei der Architektur der Phänotypen
- beträchtlich bei Verhaltensweisen und Produkten des Stoffwechsels
- noch signifikant bei ökologischen Merkmalen
–
Die Problematik – Verbindung des kladistischen Einschliesslichkeitsediktes mit Linnés binärer Nomenklatur – wird besonders deutlich am Beispiel des Abschaffens sozialparasitischer Ameisengattungen durch Ward et al. (2015).
31% der ca. 177 mitteleuropäischen Ameisenarten sind Sozialparasiten.
Seifert et al. (2016):
“….three lines of argumentation why the original generic names of social parasites are needed in the scientific language. The first argument focuses on functionality and semantic content of biological nomenclature, the second on a severe disaccord of the Hennigian system with Linnaean classification and the third on the evolutionary information content of paraphyletic taxa…”
–
((Ein verständliches Beispiel dafür aus Seifert-Vortrag:))
Dialog am Frühstückstisch… Herr Weiss [aufgeräumt]:
“Liebling, würdest Du mir bitte das Messer mit dem runden, breiten und konkav gewölbten Ende geben!” Frau Weiss [irritiert]:
“Wie ???..." Herr Weiss [ungeduldig]:
“Charlotte! Ich meine das kleine Messer, das in der Regel genutzt wird, um Zucker in Gefäße zu tun!” Frau Weiss [sehr irritiert]:
"...Heinrich, was in aller Welt meinst Du???..." Herr Weiss [aggressiv]:
“Zum Teufel noch mal, bist Du wieder schwer von Begriff! Ich meine das Messer, das früher als Teelöffel bezeichnet wurde!” –
Die aktuell laufenden “Großen Säuberungen” unter den Gattungsnamen der Ameisen führen zu einem Abbau “zulässiger” Sprachelemente und damit zu einem Verlust der Funktionalität
der biologischen Namensgebung.
Eine eindeutige Ausdrucksweise ist dann nur noch mit umständlichen Sprachkonstruktionen möglich: „Die Gynen aller Myrmoxenus-Arten erdrosseln die Temnothorax -Wirtsköniginnen bei der Koloniegründung.“ – 100 Druckzeichen
„Die Gynen von Temnothorax ravouxi, T. adlerzi, T. algerianus, T. africanus, T. bernardi, T. corsicus, T. kaussei, T. stumperi, T. birgitae, T. gordiagini , und T. zaleskyi erdrosseln die selbständig lebenden Temnothorax -Wirtsköniginnen bei der Koloniegründung.“ – 259 Druckzeichen
„Die Gynen aller sozialparasitischen Temnothorax-Arten, die früher in der Gattung Myrmoxenus zusammengefasst waren, erdrosseln die Gynen ihrer selbständig lebenden Temnothorax - Wirtsarten bei der Koloniegründung.“ – 212 Druckzeichen
((Welche der drei Formulierungen ist da wohl zu bevorzugen?))
--
Internet-Recherchen werden zunehmend schwieriger (2014 vs. 2016) Das Zusammenführen von Informationen über die Biologie der Arten wird künftig
so erschwert, dass erworbenes Wissen leicht verloren gehen kann.
((hier zitiert Seifert ein Beispiel von mir aus dem März 2015))
„…Einen kleinen Vorgeschmack bekam ich kürzlich, als ich um ein Gutachten gebeten wurde, zu einem neuen Nachweis einer ergatoiden Männchenform. In einer Tabelle mit Beispielen ergatoider Männchen resp. Weibchen stand Tetramorium atratulum mit alaten Männchen und pupoiden Weibchen. Hätte der Autor mal Anergates atratulus bei Google eingegeben, wären ihm die pupoiden Männchen scharenweise ins Auge gesprungen. – Aber wenn man von den betreffenden Arten keine Vorstellung hat, sind Myrmoxenus, Teleutomyrmex, Anergates etc. halt doch nur Namen wie Temnothorax oder Tetramorium…
--
Revolutionen in der Gattungs-Nomenklatur sollten / müssen vermieden werden -- es darf hier nur eine vorsichtige, langsame Evolution geben, die auf Konsens beruht und ein Moment der Trägheit zulässt.
--
Man kann unter Beibehaltung des Paraphylieverbotes keine sinnvolle binäre Nomenklatur aufstellen.
Eine konsequente Durchsetzung des kladistischen Kriteriums Einschliesslichkeit + Synapomorphie von α nach Ω ist mit einer sinnvollen Strukturierung durch Linné‘sche Nomenklatur nicht vereinbar.
Riesige Einheiten – extrem gedacht alle Protostomier – müssten dann als eine Gattung benannt werden. Wir werden auf jeder Ebene im Stammbaum – Gattung, Tribus, Unterfamilie, Familie Ordnung, Klasse… – mit dem Paraphylieproblem konfrontiert. Wie wäre es z. B. mit: Priapus caespitum für eine Ameise ? Priapus cervus für den Hirschkäfer ? Priapus carneus für die Florfliege ? Oder Asinus sapiens für den Menschen - als Esel mit Bewußtsein?
((Für damit nicht Vertraute: Die Priapswürmer sind marine Tiere, die in die neue Gruppe der „Ecdysozoa“ = Häutungstiere gepackt wurden, zusammen mit Fadenwürmern und allen Arthropoda, also auch den Insekten.

- Priapulus; aus Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Priapsw%C3%BCrmer ))
–
Das Aufstellen einer universellen oder speziellen Gattungsdefinition ist unmöglich. Es kann nur
pragmatische Gattungskonzeptionen für jeweils konkrete Fälle geben, die auf vorab kommunizierten, konsensfähigen Abwägungen folgender Kriterien beruhen:
(1) Semantisches Kriterium: Wird ein Gattungsname für das Funktionieren der Kommunikation in der Wissenschaft benötigt? (2) Evolutionäres Kriterium: Steht ein Gattungsname für eine Artengruppe mit komplexen Synapomorphien, die drastisch von anderen, verwandten Artengruppen abtrennen?
Wenn die Fragen (1) und (2) nicht klar beantwortbar sind kommt folgendes Kriterium zum Tragen:
(3) Entropie- bzw. Stabilitätskriterium: Ist die Verwirrung nur kurzfristig bzw. hat eine taxonomische Neuordnung Aussicht auf langfristige Stabilität ? Wieviele sekundäre Homonyme entstehen? Wie ist die praktische Handhabbarkeit in Schlüsseln oder vergleichenden Studien der Biologie?
–
Wer auf die Aufstellung eines phylogenetischen Systems aller Ameisen abzielt, nicht aber die Erforschung der Biologien und Wechselbeziehungen zwischen Ameisen im Blick hat, der wird es aus
Gründen einer einfacheren Handhabung vorziehen, nur mit 100 anstelle von 400 Ameisengattungen zu hantieren.
Wenn wir aber (gegen unsere Bequemlichkeit) gezwungen sind, anstelle von ehemals geglaubten 14 000 nun mit 40-50 000 real existenten Ameisenarten zu rechnen, dann müssen wir uns
(auch gegen unsere Bequemlichkeit) mit 350 bis 450 Gattungen abfinden.
Wer Linne‘sche Nomenklatur als Werkzeuge zweckmäßer und eindeutiger Kommunikation zwischen Wissenschafltern versteht, dem erscheint das sowieso angemessen. xxx
Soviel aus dem Vortrag von Dr. Seifert. Ich habe ihn hier ausführlich zitiert, da ich es selbst nicht besser formulieren könnte.
Allgemein verständlich: Dem Linnéschen System (10. Aufl. 1758) lässt sich nicht ohne gravierende Probleme die Kladistik überstülpen.
Linné war Kreationist: Zu seiner Zeit waren alle Organismen Produkte der Schöpfung, die unverändert blieben (Natürlich hat der Mensch über Tausende von Jahren bereits Wildtiere gezähmt, domestiziert, und züchterisch seinen Vorstellungen angepasst. Doch dieses Wissen „durfte“ nicht zur wiss. Lehre werden, da es doch der kirchlichen Schöpfungslehre widersprach).
Der Evolutionsgedanke konnte sich erst ca. ein Jahrhundert später durchsetzen, um 1860, mit Charles Darwin und Alfred Russel Wallace.
Linné schuf also ein Ordnungssystem für die Vielfalt der Organismen, in dem er den verschiedenen Gruppen bis hin zu den Arten Namen gab. Ähnliche Arten packte er in Gattungen, ähnliche Gattungen in höhere Kategorien; Grundlage war die binominale Benennung, Genus species,
Formica rufa.
Mit wachsender Kenntnis von Arten und Artengruppen musste das System ausgebaut werden. Gewiss gab es viele Fehleinschätzungen, die allmählich mit wachsenden Erkenntnissen zu korrigieren waren.
Wichtigstes Prinzip war – auch in den Internationalen Nomenklaturregeln - die (möglichst weitgehende) Stabilität, denn für die Kommunikation müssen Dinge, Lebensformen, ihre Namen haben, die auch international akzeptiert werden mussten, und die man nicht nach Gutdünken abwandeln konnte. Das hat für über 250 Jahre funktioniert.
Nichts steht dagegen, dass man dem Linnéschen System eine molekulare Systematik zur Seite stellt. Warum nicht beide nebeneinander stehen lassen?
Wenn jetzt die Vögel mit den Reptilien und Dinosauriern in eine Gruppe
„Sauropsida“ gestellt werden, so ist das schön und gut, und wir haben das bereits in der Schule so gelernt, lange vor Erfindung der Molekulargenetik. Aber deshalb alle Vögel in Saurier-Gattungen zu packen und entsprechend umzubenennen, wäre kontraproduktiv, verwirrend, und
vielleicht sogar grundfalsch, wenn man für die Einordnung außer der (angenommen gleichmäßigen) zeitlichen Änderung des Mitochondrien-Genoms auch die Entwicklung der Kerngene heranzieht.
MfG,
Merkur