Abgestürzt: Temnothorax affinis

- Der Ort des Geschehens
In meinem Garten steht ein Walnussbaum, gepflanzt 1984, also rund 30 Jahre jung. Durch Beschneiden hatte ich eine Verzweigungsstelle in ca. 110 cm Höhe über dem Boden geschaffen. Seit Jahren sind auf dem Baum
Temnothorax affinis, Dolichoderus quadripunctatus, Camponotus truncatus und
Camponotus fallax zu Hause. Ihre Nester befinden sich in Totholz in der Baumkrone. Selten klettern ein paar
Lasius niger vom Boden am Stamm hoch. Im Frühjahr und Frühsommer habe ich bereits wiederholt Futterstellen (Honigwasser, Raupen, zerstückelte Mehlkäferpuppen) im unteren Bereich der Hauptäste angelegt um die Ameisen etwas zu unterstützen.
Gestern (4. Sept. 15) lag ein Zweig am Boden unter dem Baum.

- Das abgestürzte Nest
Öffnungen an beiden Enden des Zweigstückes ließen Bewohner darin erwarten. Tatsächlich kamen beim vorsichtigen Aufschneiden an beiden Enden
Temnothorax affinis-Arbeiterinnen zum Vorschein, auch Larven, und sogar die Königin!
Ich legte den Zweig in die Vertiefung zwischen den Hauptästen. Heute früh war der Zweig leer bis auf zwei Arbeiterinnen, die ich beim völligen Aufschneiden noch fand.

- Temnothorax affinis-Arbeiterin aus dem abgestürzten Nest
Ich habe mich schon lange gefragt, was geschieht, wenn ein solcher Zweig zu Boden fällt. Knackt man Totholz am Boden unter Nussbäumen oder Eichen, in denen
T. affinis ebenfalls häufig nistet, findet man nur ganz selten Nester dieser Art, allenfalls im Winter, oder kurz nach einem heftigen Sturm. Ansonsten bezieht hauptsächlich
T. nylanderi solche Zweige.
Die Frage ist: Schafft es
T. affinis nach einem Absturz des Nestes, wieder in die Baumkrone umzuziehen? Totholz als Nistgelegenheit gibt es da genug, aber es wären mehrere Meter Weg zu überwinden: Von der Peripherie der Krone evtl. 5-6 m zum Stamm, und dann noch einige Meter hoch bis zu einem geeigneten dürren Zweig!
Dabei rekrutieren alle selbständigen
Temnothorax-Arten per Tandem; Kundschafterinnen führen also einzelne Nestgenossinnen zu einem Ziel wie Futter, oder eben zu einem neuen Nistplatz, wobei auch Nestgenossinnen getragen werden. Es muss ein mühsames Unterfangen sein, bei dem vor allem Brut tragende Tiere von anderen Ameisen und sonstigen räuberischen Insekten angegriffen werden dürften.
Leider hatte ich noch nie die Gelegenheit, so einen Umzug zu beobachten. Gestern Abend war es bereits zu dunkel, und heute Morgen waren sie weg! Ob sie es in der Nacht bei Temperaturen um 12-15 °C geschafft haben?
Auch im „Normalbetrieb“, wenn
T. affinis von ihren Nestchen zum Futterplatz und zurücklaufen, über etliche Verzweigungen hinweg, zeigen sie erstaunliche Orientierungsleistungen. So ist bekannt, dass jede Arbeiterin ihren Weg mittels eines individuellen Duftstoffes markiert, dem nur sie zu folgen vermag, nicht aber andere Individuen aus ihrem Nest. Es ist als legte jede Arbeiterin ihren "Ariadnefaden" in einer eigenen Farbtönung aus:
Maschwitz, U., Lenz, S., Buschinger, A. (1986): Individual specific trails in the ant
Leptothorax affinis (Formicidae: Myrmicinae). -
Experientia 42, 1173-1174.
Die Arbeit wurde bei Prof. Maschwitz in Frankfurt durchgeführt. Leider wurde sie bisher nicht mit anderen
Temnothorax-Arten wiederholt,
so dass wir nicht wissen, ob es sich um eine Besonderheit nur von
T.affinis handelt. Für geschickte Bastler und Tüftler wäre es eine spannende Aufgabe, andere einheimische
Temnothorax-Arten darauf hin zu testen.