Abschied im Jahre 2021

Abschied im Jahre 2021

Beitragvon Boro » Donnerstag 2. September 2021, 17:51

Die Amazonenameise Polyergus rufescens hat heuer witterungsbedingt 1-2 Wochen später mit den Raubzügen begonnen. Zuletzt haben wir 1 Woche wegen kühlen Wetters "verloren", gestern war wieder der erste durchgehend schöne Tag. Die Raubzüge der Amazonen enden bei uns in den ersten Septembertagen, den spätesten Zug habe ich vor Jahren an einem 07.09. beobachtet. Nach der Wettervorhersage bleiben noch ein paar Tage, dann ist Schluss für 2021, die Amazonen ziehen sich in tiefere Regionen der Nester zurück und bereiten sich auf die Winterruhe vor.

Gestern hatte es nachmittags etwa 23-24°C, das ist jene Temperaturschwelle, die für die Planung und Durchführung von Raubzügen notwendig erscheint. Das Nest befindet sich am Rand eines west-ost-gerichteten Güterweges am Waldrand in etwa 570 m Höhe und weist eine sehr gute Besonnung auf. Tatsächlich, um 16:20 (Sonnenzeit 15:20) begann der Raubzug.
Es fiel sofort auf, dass die Marschordnung relativ ungeordnet verlief, mit einer Breite von etwa 0,50 m; normalerweise gibt es eine ziemlich geschlossene Marschordnung mit etwa 10-20 cm Breite. Die Anzahl der Räuber war überschaubar, es wurde sicher nicht das ganze Potential ausgeschöpft. Nach 7 m war plötzlich Schluss, die Spur zum Zielnest ging offenbar verloren. Erst nach 11 Minuten gelang es einigen Pfadfindern die Spur wieder aufzunehmen und dies an die inzwischen weit verbreitete Schar auf chemischem Wege mitzuteilen. Nach weiteren 2 m wurde das Zielnest (Formica fusca) erreicht. Diese Ameisenart lässt sich immer wieder überraschen, sodass die eindringenden Amazonen ihr Sekret aus der Mandibeldrüse im Nestinneren freisetzen können um die Verteidiger in Panik zu versetzen. Bei Formica rufibarbis gelingt das oft kaum, weil diese aggressiven Nestverteidiger die ersten Amazonen schon auf dem Nest „abfangen“ und sehr rasch rekrutieren; die Folgen sind dann auch Kämpfte zwischen Angreifern und Verteidigern, die zahlreiche Opfer auf beiden Seiten zur Folge haben können. Aber auch stärkere Populationen von F. fusca beginnen sich im Laufe des Überfalls zu wehren.

Den Verfall der Aktivitäten der Amazonen habe ich in den letzten Jahren um diese Jahreszeit schon einige Male feststellen können. Was sind aber die Ursachen für die „schlampige“ Organisation der Spurlegung zum Zielnest, die lange Suche nach der weiterführenden Spur, die mangelhafte Rekrutierung der eigenen Truppe, den fehlenden Zusammenhalt der für Polyergus typisch ausgeprägten Marschkolonne?
Hierzu gibt es meines Wissens keine Literaturstelle. Man kann nur Mutmaßungen anstellen: Sind die Amazonen, die Pfadfinder und Spurenleger um diese Zeit ausgelaugt, alt oder teilweise gestorben?
Gibt die Entwicklung der eigenen Brut Anlass an geringer werdende Beute zu „denken"? Formica-Nester überwintern ohne Brut. Nimmt die Bodentemperatur (und Lufttemperatur) ab und deutet den Amazonen an, dass das Ende der Aktivität naht? Ich weiß nicht, ob darauf jemand eine plausible Antwort weiß.Tatsache ist jedenfalls, dass in den meisten Serviformica-Nestern noch einiges an Brut vorhanden wäre.
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Dateianhänge
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Marschkolonne, breit angelegt, wenig geschlossen
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Beim Nest angekommen, wie immer: jeder will zuerst hinein! Verteidiger sehe ich keine
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Erste Nestverteidiger sichtbar, wenige Amazonen (der Großteil befindet sich im Nestinneren), erste Beute erkennbar
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jetzt sind zahlreiche Verteidiger zu sehen
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vereinzelte Kämpfe finden statt, F. fusca habet aber keine Verteidigungsstrategie, sie wirken "geschockt"
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alles geht sehr turbulent zu, Kampfszene
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Häufig wird um die Brut gestritten, ob die Puppen das aushalten?
Boro
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Re: Absschied im Jahre 2021

Beitragvon Boro » Freitag 3. September 2021, 09:51

Hallo Geltungen!
Ja, es gibt gute und schlechte Jahre. 2014 haben wir uns mit dem Schwarmverhalten von Polyergus befasst: https://www.zobodat.at/pdf/CAR_204_124_0377-0386.pdf
Da sieht man, dass es auch von Nest zu Nest Unterschiede gibt. Dass ein Schwarmtermin vor dem Beginn der Raubzüge stattfindet, ist aber bemerkenswert. Vor etlichen Jahren konnte ich einen Raubzug am 30. oder 31. Mai beobachten (das Jahr weiß ich nicht mehr genau).
Wir haben 2012 und 2013 sozusagen gleichzeitig (2 Beobachter) bis zu 5 Nester untersucht. 2012 war das erste Schwärmen bei 2 Nestern am 18.07 und 2013 bei 2 Nestern am 02.08. Ich kann aus deinem Profil nicht erkennen, wo du wohnst, aber geringe Unterschiede kann es regional durchaus geben; nebenbei auch abhängig von den jeweiligen Witterungsverhältnissen vor Ort.
Aber dabei geht es mir in meinem Beitrag nicht, in den letzten August/ersten Septembertagen habe ich in der Vergangenheit bei verschiedenen Nestern (tw. 50 km voneinander entfernt) diese eigenartigen Verfallserscheinungen festgestellt. Jetzt kann man sagen, die Temperaturen sinken, die Tage werden kürzer etc. (wie oben angedeutet), aber immerhin gibt es in den meisten Serviformica-Nestern noch mehr od. weniger Brut: hier besteht für mich ein Widerspruch zwischen der deutlich nachlassenden Aktivität der Amazonen und der zu erwartenden Beute.
Vielleicht sind die Räuber tatsächlich einfach ausgepowert, ihrer Tätigkeit "überdrüssig".
Jedenfalls würde mich interessieren, ob die wenigen Forenmitglieder, die sich tatsächlich mit Polyergus beschäftigen, ähnliche oder andere Beobachtungen gemacht haben.
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Boro
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Re: Abschied im Jahre 2021

Beitragvon Radiergummi » Samstag 11. September 2021, 16:43

Hallo Boro,

In Wien liegen die Tageshöchstwerte derzeit bei guten 26-27°C mit strahlend blauem Himmel. Vor meinem Garten habe ich vor zwei Jahren ein P. rufescens Nest ausgesetzt. Die Amazonen gehen immer noch auf Raubzüge.
Kurze Visdeosequenzen von den letzten Tagen. Zum Beweis habe ich eine Zeitung und einen Kassenbon ausgelegt.


09.09.2021, Start Raubzug: ca. 16:15
https://www.youtube.com/watch?v=WP2EUL1VVEk

11.09.2021; Rückkehr Raubzug: ca. 17:00
https://www.youtube.com/watch?v=YEJNimjKBzU
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Re: Abschied im Jahre 2021

Beitragvon Boro » Samstag 11. September 2021, 17:27

Hallo Radiergummi!
Danke für die Info, sehr gut! Scheint auch ein durchaus gelungener Raubzug gewesen zu sein. Die letzten 2 Tage war es bei uns ähnlich warm, gestern 26° und heute 27°; ich hab aber nicht mehr nachgeschaut, weil ich davon ausgehe, dass es bei uns vorbei ist..................vielleicht eine vorschnelle Vermutung....... Mich fasziniert diese Ameisenart immer noch und das trotz 20jähriger Beobachtungen!
L.G.
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Boro
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