
- Eine herumstreunende Amazone beißt einer schon fast toten Gegnerin noch einmal in den Kopf
Gestern hatte ich wieder ein spannendes Erlebnis:
Eine Kolonne von Amazonen hatte sich in Bewegung gesetzt. Nachdem das Angriffsziel stets in einer ziemlich gerade Linie angesteuert wird, kam die Befürchtung auf, dass als Zielnest ein mir schon länger bekanntes, sehr volksstarkes Nest mit F. rufibarbis ausersehen sein könnte. Da hatte ich schon meine Erfahrungen gemacht, diese Serviformica-Art kann Polyerguszüge nicht nur abweisen, sondern den Angreifern in seltenen Fällen enmpfindliche Niederlagen zufügen. Und tatsächlich die Kolonne steuerte auf dieses Nest zu, mein Fotoapparat lag bereit. Aber - man glaubt es kaum - die Amazonenkolonne lief exakt 20 cm neben einem Eingang dieses Nestes vorbei! Der Aufmarsch der Feinde blieb natürlich nicht unbemerkt, sofort stürzten sich einige Nestbewohner auf die Feinde. Über Alarmpheromone wurden aus einem Dutzend rasch vielleicht 100 Verteidiger, es kam zu einigen Kämpfen neben der etwas auseinanderdriftenden Kolonne, die ihren Weg aber sonst unbeirrt fortsetzte. Das ist erstaunlich, weil dieses Nest reichlich Beute bereit gehabt hätte. Mir ist dieses Verhalten aber nicht unbekannt, vor Jahren versuchte ich schon einige Male das Interesse einer marschierenden Kolonne durch in unmittelbarer Nähe ausgebrachte Serviformicabrut abzulenken, bzw. das Interesse der Räuber auf diese leichte Beute zu lenken. Fehlanzeige, die Kolonnen haben auch damals den Marsch fortgesetzt, diese Brut entsprach nicht dem angepeilten Zielnest, deckte sich nicht mit den "ausgerechneten Koordinaten". Die oben erwähnten, rekrutierten F. rufibarbis-Arbeiterinnen verfolgten die weiterziehende Kolonne über 2 m weit (!) und attackierten weiterhin einzelne Amazonen. Am Ende gab es 5 tote Amazonen, die Zahl der toten Serviformicas war sicher höher. Möglicherweise hatten die Nestbewohner schon früher unliebsame Begegnungen mit Polyergus.
Inzwischen hatte ich den Sichtkontakt mit der abgezogenen Kolonne verloren und entdeckte das eigentliche Zielnest erst später, nachdem es bereits ausgeraubt war. Wieder ein (kleineres) Nest v. F. rufibarbis, im Eingangsbereich lagen zahlreiche tote Verteidiger.
Ich konnte feststellen, dass sich bis 25 Minuten nach Abzug der Räuber immer noch einzelne Amazonen im Nestbereich tummelten: Sie liefen im Zielnest ein und aus, bissen hin und wieder die eine oder andere vorhandene Verteidigerin, vereinzelt wurde noch ein Puppe weggetragen. Die Verteidiger erwiesen sich zu jedem Widerstand unfähig, liefen unschlüssig herum, schienen eindeutig verwirrt. Unzählige Verteidiger saßen mit oder ohne Brut auf umgebenden Grashalmen um das Inferno abzuwarten. Einige bissen sich gegenseitig, hin und wieder versuchte eine Verteidigerin eher zaghaft eine Amazone anzugreifen. Mit einem Wort ein richtiges Desaster!
Und dann sah ich sie plötzlich: Eine dealate Polyergus-Gyne lief über den Nestbereich! Das ist typisch für die Schwärmzeit, alate Gynen kehren nach dem Schwärmen oft zum Nest zurück und warten auf den Ausmarsch ihrer
Schwestern (nicht immer, aber häufig) um in der Nachhut mitzulaufen und dann nach dem Abzug der Amazonen das Chaos im Nest der Wirtsameisen für die Gründung eines neuen Polyergusnestes auszunützen.
Ich lag 45 Min. auf der Wiese, das Fotografieren war schwierig, kaum eine Ameise hielt auch nur für eine Sekunde still. Die Gyne musste abwarten, bis ihre Verwandtschadt abgezogen war, weil diese kaum eine Nestgründung im eigenen Einzugsbereich zugelassen hätte. Aus zahllosen derartigen Beobachtungen ist aber inzwischen klar, dass die begatteten, dealaten Gynen mit zunehmender Distanz vom eigenen Nest von den Amazonen immer weniger aggressiv behandelt werden.
Die Gyne lief mehrmals völlig unbehelligt in das Nest, kam wieder und stieg auf Grashalme um sich vor der eigenen Art zu schützen.
Erst nach 35 Min. war die "Luft rein" und die Gyne verschwand im Nest. Deutlichen Widerstand der inzwischen wieder heimkehrenden Verteidiger konnte ich nicht feststellen.
Zusammenfassung der Ergebnisse:
1. F. rufibaris ist ein ernst zu nehmender Gegner, darüber habe ich noch im alten AF mehrfach berichtet. Tote (vor allem) Verteidiger gibt es häufig, weil sich F. rufibarbis oft zur Wehr setzt.
Entscheidend ist hier das Überraschungsmoment: Gelingt es den Amazonen sofort in das Nest einzudringen, können sie im Inneren ihr "Propagandapheromon"freisetzen und die Verteidiger verwirren. Gelingt dies infolge der Anwesenheit zahlreicher Verteidiger auf der Nestoberfläche nicht, ist der Kampf unausweichlich.
2. Die Marschkolonne ist auf ein bestimmtes Zielnest fixiert, eine Ablenkung durch Brut od. andere Serviformica-Nester entlang der Laufstrecke ist nicht erfolgreich
3. Die Aggression der Amazonen gegen mitlaufende, begattete Gynen nimmt mit zunehmender Entfernung vom eigenen Nest ab.
4. Eine sekundäre Nestgründung in nur 17 m Entfernung vom Hauptnest ist wertlos - sie kann noch in diesem Jahr intraspezifisch vernichtet werden.
Fortsetzung folgt.