Da kann es geschehen, dass sich die Anergates-Weiber um die seltenen Männer streiten!

Jungköniginnen von Anergates, in Kollaboration mit Arbeiterinnen der gemeinsamen Wirtsart Tetramorium caespitum.
Ich bin erst jetzt auf diese Arbeit gestoßen:
Laboratory observations on Anergates atratulus (Schenck, 1852): mating behaviour, incorporation into host colonies, and competition with Strongylognathus testaceus (Schenck, 1852).
Adrián Purkart, Herbert C. Wagner, Katarína Goffová Dávid Selnekovič &Milada Holecová, 2021, Biologia: https://doi.org/10.1007/s11756-021-00901-y
(Voller Text hier.)
(Laborbeobachtungen an Anergates atratulus (Schenck, 1852): Begattungsverhalten, Eingliederung in Wirtsvölker, und Konkurrenz mit Strongylognathus testaceus (Schenck, 1852).)
Abstract
Uncovering the world of social parasitic ants is difficult due to their rarity and local distribution. Moreover, the more advanced the stage of parasitism, the rarer the species. Anergates atratulus (Schenck, 1852) is an extreme workerless parasite that lives with host species of the genus Tetramorium Mayr, 1855 and is locally distributed throughout large parts of the ranges of its hosts. In this study, two queenless colony fragments of A. atratulus and two of the degenerate slave-raider Strongylognathus testaceus (Schenck, 1852) were collected in the field and kept in a laboratory. The host species, Tetramorium caespitum (Linnaeus, 1758) and T. staerckei (Kratochvíl, 1944), were identified in an integrative fashion combining worker morphometrics with COI gene identification and revealed T. staerckei as a new host species of A. atratulus. Novel sexual and host-parasitic behaviour was observed: Gynes of
A. atratulus successfully obtained from breeding in laboratory nests exhibit female-female competition behaviour for males. Ten incorporation attempts to queenless mixed colony fragments of T. caespitum and S. testaceus were conducted. The workers of T. caespitum and S. testaceus killed all gynes of A. atratulus.
Manchmal hat man als Myrmekologe das Glück, eine seltene Ameisenart zu finden, so dass man einige spannende Experimente damit machen kann. Doch ist auf solches „Glück“ kein Verlass; man kann nur selten eine gründliche Untersuchung durchführen, oder gar Kandidaten damit beauftragen, die in begrenzter Zeit eine Diplomarbeit oder gar eine Dissertation darüber anfertigen sollen. Dazu muss man die Tiere zuverlässig wiederholt einsammeln können.
Die Autoren hatten das Glück, je zwei Kolonien von Anergates atratulus und Strongylognathus testaceus gleichzeitig zu entdecken. So nutzten sie die Gelegenheit, aus den Völkern jeweils größere Fragmente (ohne deren Königinnen) zu entnehmen und im Labor damit einige Versuche durchzuführen. Sie konnten bei dieser Gelegenheit Tetramorium staerckei identifizieren, die bisher nicht als Wirtsart für A. atratulus bekannt war.
Die vier Völkchen wurden am 22. April 2019 auf Binnendünen in der Slowakei gefunden und bis 19. Juni im Labor gehalten. Das Sexualverhalten der jungen Anergates-Geschlechtstiere wurde im Labor beobachtet. Es erfolgt bei dieser Art grundsätzlich im parasitierten Nest: Die Männchen sind flügellos, die Gynen fliegen nach Begattung ab.
In der Arbeit von Purkart et al. wird nun beschrieben, dass junge Anergates-Gynen untereinander um Männchen konkurrieren. Dies ist ein bisher unbekanntes Verhaltens-Detail, ebenso die Beobachtung eines „Vorspiels“ bei der Paarung: Eine oder mehrere der Gynen lecken den herausragenden Begattungsapparat des Männchens; sie exponieren ihre Gaster gegenüber dem Männchen und bewegen sich rückwärts, so dass das Männchen aufreiten und sich auf dem Weibchen festhalten kann. Während der Verhängung eines Pärchens haben weitere Gynen die „Verbindung“ zwischen Gyne und Männchen beleckt und gebissen. Bei ungestörter Verhängung blieben die Paarungspartner unbeweglich und die Gyne legte alle sechs Beinchen um diese „Verbindung“ (wohl den Begattungsapparat des Männchens).
Das Foto zeigt rechts unten eines der flügellosen, schwach pigmentierten Männchen in Verhängung mit einer Gyne (ziemlich verdeckt, mit zerknitterten Flügeln). Links davon sind zwei Gynen, die obere mit noch nicht voll entfalteten Flügeln, die untere, voll geflügelte, scheint den Phallus des Männchens zu belecken oder zu beißen.
In einem zweiten Versuch wurden zehn begattete Anergates-Gynen einzeln mit jeweils drei Tagen Abstand zu den zwei Teilvölkern mit Strongylognathus-Arbeiterinnen gesetzt (je Volk 250 Tetramorium- und 10 Strongylognathus-Arbeiterinnen). In sieben Fällen wurden die Anergates-Gynen von Tetramorium-Arbeiterinnen getötet, in drei Fällen von Strongylognathus-Arbeiterinnen durch Bisse in Kopf und Thorax!
Anergates atratulus hatte ich wiederholt gefunden und seinerzeit ebenfalls Beobachtungen zum Paarungsverhalten gemacht. Hier und hier hatte ich darüber berichtet, was ich selbst dabei herausgefunden hatte. Die von Purkart et al. 2021 beschriebenen Einzelheiten waren mir nicht aufgefallen. Wie in dieser Arbeit beschrieben, konnte auch ich beobachten, dass Männchen versuchten mit Gynen-Puppen zu kopulieren (Fig. 5 in der Arbeit). Und wie dort in Fig 6 gezeigt, können begattete Anergates-Gynen im Nest verbleiben, sich entflügeln und dort physogastrisch werden.
Ob es in diesen Fällen zur Aufzucht einer weiteren Generation des Parasiten kommen kann, ist fraglich: Da keine Wirtskönigin mit im Nest ist, gibt es keinen Nachschub an jungen Tetramorium-Arbeiterinnen, und die alten sterben allmählich weg.
Die hier referierte Arbeit von Purkart et al. 2021 zeigt einmal mehr, dass das Auffinden seltener Ameisenarten durchaus die Chance eröffnet, Neues über deren Biologie herauszufinden, auch wenn es nur Einzelheiten sind. Sie können bisherige Kenntnisse erweitern und ergänzen. Da heißt es „carpe diem!“, nutze die Gelegenheit!

MfG,
Merkur