Neue Ameisenart auf Mallorca entdeckt!

[Anon]

Gerade erst wurde von spanischen Wissenschaftlern auf Mallorca eine neue Art der Gattung Lasius entdeckt, da steht ihr baldiges Aussterben auch schon zu befürchten: Die Lasius balearicus.

Sicher ist, dass sie die Insel schon seit 1,5 Millionen Jahren bevölkert und endemisch ist. Sie kommt ausschließlich in den Bergen des Tramuntana-Gebirges vor, ab 800 m aufwärts bis auf die höchsten (wenigen) Gipfel mit ca. 1400 m. In diesen Höhen herrscht auch auf Mallorca im Winter oft strenge Kälte, Frost und gelegentlicher Schneefall. Es ist daher davon auszugehen, dass L. balearicus ganzjährig eher kühle Temperaturen und eine ausgeprägte Winterruhe braucht. Eben dieser Umstand könnte ihr aber bald schon zum Verhängnis werden!

Aufgrund der weiter steigenden akuten Klimaerwärmung in den nächsten paar Jahrzehnten wird die Art gezwungen sein, in immer höhere Lagen der Berge auszuweichen. Nur ist bei den meisten Berggipfeln der Gebirgskette bei ca. 1000 Höhenmetern Schluss, wohin sollen die Tiere da noch vor den ansteigenden Temperaturen flüchten, sie sind ja schon "ganz oben" angelangt.

Aber freuen wir uns vorerst über den Fund der "Mallorca-Ameise"!
Bin gespannt, ob (und was) es zukünftig über diese Art noch Interessantes zu berichten gibt!

Wer sich gerne etwas mehr mit dem Thema beschäftigen möchte, hier das Abstract eines Artikels der Entdecker dieser Spezies, gerade erschienen im Journal of Biogeography:

http://onlinelibrary.wiley.com/enhanced ... jbi.12438/

Und etwas trivialer, aber mit Foto, ein Bericht des deutschsprachigen Mallorca-Magazins:

http://mallorcamagazin.com/kultur/archa ... droht.html

Wünsche allen ein schönes Wochenende!

[Merkur]

Vielen Dank, Ameisenfreund, für diesen interessanten Beitrag! – Er gibt Anstoß zum Nachdenken über manche modernen Entwicklungen, nicht nur die Klimaänderung.

Arten, die nur sehr eingeschränkte Verbreitungsgebiete haben, so genannte Endemiten, sind auf Inseln ohnehin recht häufig. Aufgrund der geringen Populationsgrößen sind sie als Arten besonders gefährdet, zum Beispiel auch durch eingeschleppte Neozoen, oder durch eine veränderte Nutzung ihrer Areale (Entwaldung, Aufforstung mit gebietsfremden Gehölzen und vieles mehr).

In Gebirgsregionen kennt man ähnliche Phänomene. So wie Steinbock und Gämsen heute auf die hohen Gebirgsregionen beschränkt sind und dort untereinander isolierte Kleinpopulationen bilden (mit dem Risiko der genetischen Verarmung und lokalen Auslöschung), so gibt es auch bei den Ameisen Arten, die z. B. während der letzten Eiszeit mit Sicherheit weit verbreitet waren und große, m. o. w. geschlossene Populationen im Flach- oder Hügelland bildeten. Jetzt sind sie im Zuge der nacheiszeitlichen Erwärmung in die Hochlagen „geflüchtet“, wo noch Bedingungen herrschen, an die sie sich angepasst hatten.- Für einige der (mir besonders vertrauten) Sozialparasiten kann man das durchaus annehmen: Teleutomyrmex schneideri, eine der seltensten Arten überhaupt, ist nur in ganz wenigen Gebirgsmassiven der Alpen, und an einem Ort in den Pyrenäen nachgewiesen. In der südspanischen Sierra Nevada kommt eine ganz nahe verwandte Art vor, T. kutteri, ebenfalls nur wenige Male gefunden: Die beiden Arten haben sich anscheinend in der relativ kurzen Zeit der Isolation bereits auseinander entwickelt.
Andere Arten wie Leptothorax kutteri und L. goesswaldi haben sich auf Areale in den Hochalpen und im Norden, in Dänemark und Südschweden, „zurückgezogen“, mit einer bekannten Population von L. kutteri im Nürnberger Reichswald, einer Region mit recht harten Klimabedingungen. Die dritte Art aus der ehemaligen Gattung Doronomyrmex, Leptothorax pacis, ist bisher nur in den Hochlagen der Alpen gefunden worden. Ihre gemeinsame Wirtsart, Leptothorax acervorum, hat sich dagegen anscheinend physiologisch so weit diversifiziert und lokal angepasst, dass sie heute fast durchgehend von der Ostseeküste bis auf über 3.000 m in den Alpen vorkommt, und natürlich bis weit nach Sibirien hinein. Als selbständige und vielerorts häufige Art konnte sie das sicher leichter erreichen als die naturgemäß viel selteneren Sozialparasiten.

MfG,
Merkur

[Anon]

@ Merkur, Vielen Dank für Deine guten Ergänzungen!

Arten, die nur sehr eingeschränkte Verbreitungsgebiete haben, so genannte Endemiten, sind auf Inseln ohnehin recht häufig.

Da schwingt meinerseits natürlich eine ordentliche Portion Lokalpatriotismus mit, immerhin hat Mallorca (neben anderen endemischen Tierarten wie etwa der Mallorca-Geburtshelferkröte) nun auch seine erste "eigene" Ameise.

Einer der an dem Fund beteiligten Wissenschaftler (Roger Vila) hat nun auf dieser Webseite das betreffende komplette Paper zum Download (.pdf) bereitgestellt:

Direktlink zum pdf: http://biologiaevolutiva.org/rvila/Lab/ ... aricus.pdf

Ein Blick auf das Paper lohnt sich, es ist u.a. gespickt mit vielen Fotos der neu entdeckten Art.
(Nebenbei: Bin immer wieder fasziniert vom methodischen Aufbau dieser wissenschaftlichen Arbeiten!)

[Merkur]

Danke, Ameisenfreund, u. a. für den Link, der mir eine Mail an Xavier erspart.
Es ist eine überaus gründliche und sorgfältige Arbeit, die weit über das hinausgeht, was Artbeschreibungen durchschnittlich an Information enthalten!

Bei der Fülle an Einzelheiten hätte ich allerdings fast übersehen, dass Gynen und Männchen nicht mitbeschrieben sind!?
Dieses Schicksal teilt L. balearicus jedoch noch immer mit einer Vielzahl beschriebener und benannter Ameisenarten.

Ich habe den Eindruck, dass die Arbeiterinnen im Freiland schon recht gut erkennbar sind. Vielleicht kannst Du im Frühjahr/Sommer ja mal an die Fundorte pilgern und ein paar Geschlechtstiere an Espadaler schicken?

MfG,
Merkur

[Anon]

Bei der Fülle an Einzelheiten hätte ich allerdings fast übersehen, dass Gynen und Männchen nicht mitbeschrieben sind!? Dieses Schicksal teilt L. balearicus jedoch noch immer mit einer Vielzahl beschriebener und benannter Ameisenarten.

Ich habe den Eindruck, dass die Arbeiterinnen im Freiland schon recht gut erkennbar sind. Vielleicht kannst Du im Frühjahr/Sommer ja mal an die Fundorte pilgern und ein paar Geschlechtstiere an Espadaler schicken?

Das wäre in der Tat eine reizvolle Herausforderung, über die ich gerne nachdenken werde!

[Anon]

Möchte in diesem Thread (in loser Abfolge) gerne immer mal wieder Webseiten auflisten, die sich mit Lasius balearicus (im Speziellen) und anderer endemischer Balearen-Fauna (im Allgemeinen) beschäftigen.

Viele dieser Seiten sind zwar auf Spanisch, bzw. Katalanisch gehalten, aber reich bebildert und insofern anschauenswert:

Über Lasius balearicus: http://lacienciaalteumon.cat/els-cims-d ... -duna-illa

Über endemische Tierarten auf den Balearischen Inseln allgemein: http://www.caib.es/sacmicrofront/conten ... cont=22021

Über die Mallorca-Geburtshelferkröte: https://www.zoobarcelona.cat/ca/coneix- ... /ferreret/

P.S.: Wegen der von Merkur vorgeschlagenen "Expedition" im kommenden Jahr frage ich mich, ob einige Exemplare der L. balearicus nicht auch für Jumpstyle von Interesse wären, der wunderschönen Fotos wegen, die er daraus machen könnte.... (Selbst wenn sich keine Geschlechtstiere finden lassen.)

[Anon]

Nachtrag, der Vollständigkeit halber: Die Mallorca-Zeitung korrigiert in ihrer letzten Print-Ausgabe ein Detail zur Entdeckung der Lasius balearicus. Der Artikel ist (noch) nicht online erschienen, wird aber bei etwaigem Erscheinen hier im Forum verlinkt.

Textauszug aus dem Artikel:

"[...] Anders als zunächst vermeldet, ist die Ameise "Lasius balearicus" schon seit 1982 bekannt. Sie wurde damals von dem britischen Forscher Cedric Alex Collingwood entdeckt, dann aber mehr oder weniger ihrem Schicksal überlassen. In den vergangenen Jahren hat sich ein Team vom biologischen Institut Evolutiva in Barcelona auf die Suche nach ihr gemacht, um sie systematisch zu erforschen. [...]"

Dieser Umstand schmälert aber m.E. keinesfalls den Wert der kürzlich erschienen umfangreichen Forschungsergebnisse zur "Mallorca-Ameise".

[Merkur]

Aus der Danksagung der Originalveröffentlichung (Acknowledgements):

“This paper is dedicated to Cedric Alex Collingwood, who in 1982 collected the first specimens of the new species of Lasius here described.”

Da das Literaturverzeichnis keine Arbeit von Collingwood enthält, in der er auf den Fund einer unbeschriebenen Lasius von Mallorca hingewiesen hätte, kann man annehmen, dass er zwar seine Ameisen für neu und unbeschrieben gehalten, aber aus dem einen oder anderen Grund die Beschreibung nicht vorgenommen hat. Vielleicht war es ihm zu wenig Material, oder er hat es zugunsten anderer Arbeiten zurückgestellt….

Öffentlichen Sammlungen (z. B. an Museen) und die Privatsammlungen von professionellen und Laien-Myrmekologen enthalten nach meiner Einschätzung Hunderte, eher sogar Tausende solcher m. o. w. sicher als „neu“ erkannter und dennoch nicht beschriebener Arten, allein von Ameisen!
Bei jeder Revision einer Gruppe, wo sich die Autoren die Mühe gemacht haben, Sammlungen durchzumustern und Sammler zu befragen, kommen solche unerkannten „Schätze“ zutage.

Die Praxis zeigt, dass dies offenbar unvermeidlich ist! Hinzu kommen noch Tiere, die im Rahmen faunistischer Untersuchungen, z. B. mit Fallenfangmethoden, eingesammelt und – oft nicht durch Spezialisten – nur vorläufig determiniert wurden, und um die sich oft Jahrzehnte lang niemand richtig kümmern kann.

So ist es schön, dass Espadaler et al. “irgendwie“ davon Wind bekommen haben, dass Collingwood auf Mallorca eine anscheinend neue Lasius-Art gesammelt hatte, dass die Tiere noch vorhanden und der Fundort bekannt waren. Die Autoren konnten also recht gezielt nach dieser Art suchen. 32 Jahre Verzögerung zwischen Erstfund und Beschreibung muss man unter den gegebenen Umständen als „normal“ betrachten: Es gibt einfach viel zu wenige Taxonomen! Und das vor allem, weil es viel zu wenige lukrative Stellen für diese Berufsgruppe gibt.

MfG,
Merkur

[Reber]

D.V.h.: Spiegel Online berichtet ebenfalls über die (Wieder-)Entdeckung von Lasius balearicus, inklusive einer klein Fotostrecke:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/natu ... 09653.html

[Merkur]

Das "Rauschen im Blätterwald" hält noch an . Hier ein Beitrag vom 6. Januar 2015:
http://derstandard.at/2000010051175/Ein ... loser-Lage
Den Link fand ich im AF (danke!).
Der Artikel ist um einiges klarer als so mancher hier bereits verlinkte. Wie weit bisher nicht erwähnte Details den Tatsachen entsprechen oder auf journalistische Ausschmückung zurückgehen, sei dahingestellt.

MfG,
Merkur

[Anon]

Um diesen Thread zu einem Abschluss zu bringen:

Aus der geplanten "Expedition" in die Höhen des Tramuntana-Gebirges wurde zwar bisher nichts,
es gibt aber einen Ort auf Mallorca, an dem sich die Lasius balearicus ganz leicht (und sicher) finden lässt!

In Sóller, einem Städtchen im Nordwesten der Insel, befindet sich ein kleines Naturkundemuseum.



Und dort "schlummert" sie, die "Mallorca-Ameise". In einem unscheinbaren Kunststoffbecher.



Einige (wenige) weitere Exemplare gingen jeweils an ein Museum in den USA, in Großbritannien und in Deutschland.



Also, solltet ihr einmal nach Sóller kommen....