Gibt es außer Gynandern auch „echte Zwitter“ bei Ameisen?Anlässlich des Berichtes über ein merkwürdig gestaltetes Individuum von Tetramorium sp. in den USA
HIER hatte ich einen Beitrag über einen ähnlichen Fund auf der
Krim-Halbinsel angekündigt, ebenfalls bei einer
Tetramorium-Art.
Zunächst möchte ich auf einen Beitrag bzw. Thread zu den – ebenfalls seltenen, aber doch hin und wieder auftauchenden - Halbseitenzwittern und „Mosaikgynandern“ aufmerksam machen:
HIER hatte ich anhand eines Halbseiten-Zwitters (Gynandromorphe) von Polyergus den „Normalfall“ bereits mal erläutert:
„Die männliche Seite ist haploid, die weibliche diploid. So etwas geschieht, wenn ein Ei sich kurz vor der Ablage zu furchen beginnt, und wenn bei der Ablage des Eies nur eine der beiden ersten Furchungszellen befruchtet wird.
Trotz der „superfiziellen“ Furchung der Insekteneier (der Kern teilt sich zuerst in viele Kerne im Inneren des Eiplasmas, die dann an die Zellwand gelangen und sich dort mit Membranen umhüllen) sind im Eiplasma Strukturen vorhanden, die bestimmte Kerne zu bestimmten Orten „geleiten“. Die beiden ersten Furchungskerne und ihre jeweiligen Tochterkerne sind somit dafür bestimmt, dass sie die rechte bzw. linke Körperhälfte bilden. Daher gibt es nur links-rechts-, aber keine vorn-hinten-Gynander. Wird allerdings erst im 4-Kern-Stadium eine der Zellen befruchtet, entsteht ein Männchen mit einem Viertel Weibchen, entweder links oder rechts vorn, oder entsprechend hinten. Solche Tiere trifft man ganz selten mal an.
Interessant ist, dass bei den Ameisen also jede Zelle aufgrund ihrer Ploidie „weiß“, ob sie Teil eines männlichen oder weiblichen Organs wird. Anders als etwa bei Säugetieren spielen Hormone aus den Geschlechtsorganen in der Körpergestaltung keine Rolle.
Interessant ist weiterhin, dass bei Ameisen auch
Männchen-Arbeiterin-Gynander vorkommen. Das zeigt, dass die weiblichen Anteile auf die Kastendeterminations-Faktoren (i. w. Ernährung) reagieren, während Männchen auch unter den Bedingungen entstehen können, die weibliche Larven zu Arbeiterinnen determinieren.“
Einen „spektakulären“ Männchen-Arbeiterin-Gynander von
Myrmecia pavida konnte ich dann
HIER vorstellen. Dabei gelang es auch, einige innere Organe zu identifizieren, u.a. Hoden UND Ovariolen in ein- und demselben Tier!
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Hier aber geht es um ein
ganzes Volk aus dem Freiland, in dem zahlreiche „Zwischenformen“ vorhanden waren, insgesamt ca. 5-6% der Nestpopulation, teils mehr normalen Arbeiterinnen ähnlich, aber mit männlichen Genitalanhängen. Doch auch alle Übergänge zu fast männlich erscheinenden Tieren mit wenig mehr als Arbeiterinnengröße, aber einem hoch gewölbten Thorax gibt es. Zur Erinnerung das Bild aus dem vorhergehenden Thread:
Bild 1
- Tetramorium sp.: von oben normales Männchen, zwei "Zwischenformen", normale Arbeiterin
So etwas ist nicht einfach auf eine Mosaikentwicklung zurückzuführen, doch sei gleich gesagt, dass eine überzeugende Deutung bisher nicht existiert. Bei Rindern kennt man das Vorkommen von sog. „Zwicken“, weiblich erscheinenden Exemplaren, genotypisch XX, in die jedoch während der Entwicklung Zellen von einem männlichen Zwilling (XY) gelangt sind. Einzelheiten z. B.
HIER. Die Ausprägung der sekundären Geschlechtsmerkmale wird bei Säugetieren durch Hormone aus den Keimdrüsen gesteuert. (Zum Glück kommt eine solche Zwicken-Bildung beim Menschen mit Zwillings- oder Mehrlingsgeburten nicht vor.)
Nun aber zu den Tierchen von der Krim. Im August 1995 war ich mit einem Doktoranden (M. Sanetra) und mit den Kollegen Prof. A. G. Radchenko aus Kiew sowie Prof. V. E. Kipyatkov aus St. Petersburg auf einer Forschungsreise zur Krim. Wir suchten vor allem nach Sozialparasiten, fanden auch
Bothriomyrmex sp.,
Strongylognathus sp.,
Chalepoxenus muellerianus und
Myrmoxenus ravouxi. Das fragliche T
etramorium cf.
caespitum-Volk enthielt keinen Sozialparasiten, obwohl angesichts der Vielzahl kleiner, Geschlechtstier-artigen Individuen zunächst ein Verdacht bestand. So entnahm M. Sanetra eine große Probe aus dem Nest. Es war das einzige unter ca. 150 dort untersuchten Tetramorium-Völkern.
Ein neuer Kandidat meiner Arbeitsgruppe, M. Frederich, unternahm es dann, das lebend mitgebrachte Tiermaterial für seine Diplomarbeit näher zu untersuchen.
(Die hervorragende Arbeit wollte er zunächst in einer wiss. Zeitschrift publizieren, was aber dann leider doch unterblieb. Ich selbst fand bisher ebenfalls keine Zeit dafür. M. Frederich hat für die Dissertation auf Meeresbiologie umgesattelt, und ist heute Professor of Marine Sciences at the University of New England. He received his masters degree in biology from the Technical University of Darmstadt, Germany, where he investigated anatomical abnormalities in ants that got exposed to the Chernobyl nuclear disaster *). He received his Ph.D. degree from the University of Bremen, Germany for his work at the Alfred Wegener Institute of Polar and Marine Research in Bremerhaven, Germany. Here he investigated stress physiology mechanisms in Antarctic crustaceans. For this project he also worked at the Station Biologique de Roscoff in France, and at the Instituto de la Patagonia, Universidad de Magallanes, in Punta Arenas, Chile. Dr. Frederich did his post doctoral work at Harvard Medical School in Boston, MA, where he investigated energy metabolism of mammalian hearts using NMR spectroscopy. In 2003 he joined the faculty of the University of New England where he established his lab investigating energy metabolism and stress physiology in marine invertebrates.) -
*) Dieser Bezug zum Tschernobyl-Unfall ist auch mir neu! (
https://www.une.edu/people/markus-frederich, abgerufen 19.09.2019)
Auf Einzelheiten wie Mikroskop-Präparate, Rasterelektronenmikroskopie, Histologie und Chromosomenpräparation möchte ich nicht näher eingehen. Nur einige Bilder sollen zeigen, welche merkwürdigen Strukturen bei den Tieren aufgefunden wurden.
Verhaltensbeobachtungen waren nur begrenzt möglich, doch
verhielten sich die auffälligen Individuen wie Arbeiterinnen, transportierten Brut, gaben auch Futter an normale Arbeiterinnen weiter.
Bild 2
- Bereits im Puppenstadium lassen sich normale Arbeiterinnen von Zwischenformen unterscheiden
Bild 3
- Raster-EM-Bilder vom Thorax zweier Zwischenformen
Bild 4
- Skizzen von a) Arbeiterin, b Männchen, c-j Zwischenformen
Bild 5
- Antennen von oben: a) Männchen, b) Arbeiterin, c) Zwischenform,
unten verschiedne missgestaltete Antennen von Zwischenformen
Bild 6
- Raster-EM-Bilder der Genitalanhänge von zwei Zwischenformen, von ventral.
Bild 7
- Alle Zwischenformen, ob mit oder ohne Flügelrudimente, hatten im Puppenstadium Flugmuskulatur angelegt.
Bild 8
- Hodengewebe ist in histologischen Schnitten gut darstellbar.
Bild 9
- Tetramorium-Arten haben haploid n=14 Chromosomen (Männchen), diploid 2n=28 (Weibchen). Bei den Zwischenformen wurden in Hodengewebe auch triploide Zellen gefunden.
Ergänzung (21.09.2009) Die hier gezeigten Bilder sind eine Auswahl aus der Diplomarbeit von M. Frederich. Weiter Fotos, Tabellen und graphische Auswertung habe ich weggelassen, um den Beitrag nicht uferlos groß zu machen.
Bereits in Bild 1 erscheint das 3. Tier von oben, "arbeiterinähnliche Zwischenform”, mit den teilweise ausgefahrenen Genitalanhängen sehr ähnlich dem
HIER vorgestellten Exemplar aus dem amerikanischen Forum.
Gynandromorphe (wie die oben vorgestellte Ergatander von
Myrmecia) sind m.o.w. stark asymmetrisch gebaut und gefärbt. Die “Zwischenformen” von der Krim sind symmetrisch.
Auffällig ist die große Variabilität der Zwischenformen (Bilder 2,3,4), die im Habitus zum Teil fast wie normale Arbeiterinnen erscheinen, oder auch normalen
Tetramorium-Männchen weitgehend gleichen, bis auf die viel geringere Größe. Sie alle haben Genitalanhänge, die denen normaler Männchen ähnlich sehen, wenn auch missgestaltet und kaum funktionsfähig (Bild 6).
Auf Bild 5 oben ist zu sehen, dass die normalen Männchen von
Tetramorium-Arten, dank Verschmelzung von drei proximalen Geißelgliedern zu einem besonders langen, nur 10 Fühlerglieder haben, während Arbeiterin und Gyne immer 12 Fühlerglieder aufweisen. Bei den Zwischenformen ist wie bei normalen Männchen ein langes erstes Geißelglied (nach dem Pedicellus) zu finden. Der Rest der Geißel kann dann eine reduzierte Gliederzahl aufweisen. Besonders auffällig sind die in Bild 5 unten gezeigten Antennenmissbildungen, bis hin zu “Verzweigungen”.
So etwas habe ich bei Männchen von Harpagoxenus sublaevis beobachten können, die nach Geschwisterverpaarung entstanden (Inzucht!). Da gab es fertile diploide Männchen, die größer waren als normal, und und sogar triploide, sehr große mit verzweigten Antennen.Bild 7: Von der Flugmuskulatur sind auf diesem Schnitt, etwa durch die Mitte des Körpers, nur Teile der Längsmuskulatur zu sehen. Andere Schnitte weiter links oder rechts der Mitte zeigen auch dorsoventrale Flugmuskulatur. Und das, obwohl die Flügel entweder gar nicht oder doch m.o.w. reduziert angelegt sind.
Auch Bild 8 zeigt eine typisch männliche “Ausstattung” der Tiere, mit Hoden. Sie erscheinen zwar kleiner als bei einem normalen
Tetramorium-Männchen, sind aber eindeutig als solche erkennbar.
Bild 9, Chromosomen: Es ist eine nicht optimale Darstellung, bei der nur Größenunterschiede der einzelnen Chromosomen zu sehen sind. Mit den damaligen Mitteln (1995) und besonders aufgrund der doch geringen Zahl von Puppen im passenden Ausreifungszustand war es nicht möglich, bei der Präparation viel herum zu experimentieren. Immerhin scheint eine teilweise Di- und Triploidie der Zellen vorzuliegen.
Insgesamt machen die “Zwischenformen” den Eindruck, als seien sie wie normale Männchen aus unbefruchteten Eiern hervorgegangen. Das Volk hatte ja auch normale Arbeiterinnen, in deutlich größerer Zahl. Doch es sind nicht nur “Kümmer-Männchen”: Sie zeigen Arbeiterinnen-Verhalten und sind auch vielfach wie Arbeiterinnen gefärbt. Wie weit sie für den normalen Nestbetrieb, Futtersuche, Brutpflege etc. von Nutzen waren, ist nicht geklärt.
Es ist aber bemerkenswert, was man mit einem einzigen Volk mit einer derartigen Abnormität herausfinden kann. Leider hatten wir die Königin des Volkes nicht gefunden, sonst hätten wir uns sicher bemüht, sie mit einem Teil der Arbeiterinnen zu halten und weitere “Zwischenformen” aufzuziehen. Ob es z. B. auch normale Geschlechtstiere produzieren konnte, wissen wir nicht. Die Schwarmzeit für die Art war anscheinend dort bereits zu Ende.
“Echte Zwitter”, Hermaphroditen, bei denen ein Individuum sowohl Spermien als auch Eizellen produziert, gleichzeitig oder nacheinander, das
gibt es bei Ameisen jedenfalls nicht (Beispiele für echte Zwitter sind u.a. Weinbergschnecke sowie Bandwürmer). Es handelt sich bei dem Volk von der Krim sicher um eine pathologische Form, wofür auch die Seltenheit des Auftretens spricht. Über die Ursache für diese Fehlbildungen kann man nur spekulieren, und darauf hoffen, dass ein/e daran interessierte/r Wissenschaftler/in mit entsprechend ausgestattetem Labor mal wieder ein derartiges Ameisenvolk in die Hände bekommt. Planen lässt sich die Erforschung eines solchen Phänomens jedenfalls nicht.
MfG,
Merkur
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